Graf Rumford und die Armensuppe
von Christel Seidensticker

Schon immer haben Mißernten und Krieg zur Verarmung vieler Menschen beigetragen, und so auch die Kriege, die auf die französische Revolution folgten. Die Städte wurden heimgesucht von einem Heer von Bettlern, Kriegsverletzten, um Arbeit suchenden Handwerksgesellen und Heimatlosen. Sie vermehrten die Zahl der in den Gemeinden ansässigen und von diesen zu unterstützenden Armen.
In vielen Städten gründeten wohlmeinende Bürger Armen-Kommissionen oder Armen-Institute. Sie warben bei den Wohlhabenden unter mehr oder weniger sanftem Druck um Geld für die Unterstützung der Armen. Wer spendete, wurde in der Zeitung lobend genannt, flossen die Spenden zu spärlich, wurde angedroht, man werde demnächst die Namen derer veröffentlichen, die noch nicht gespendet haben. Zur Spende "verpflichtet" waren auch Handwerker, einfache Arbeiter und Bauern. Im Gegenzug gab es ein polizeiliches Bettelverbot. Wer trotzdem bettelte, kam in den Turm. Vom Betteln zu leben sei schädlich, und auch ein allzu freigiebiges Almosenwesen sei eher schädlich.
In der "Justiz- und Polizei-Fama Nro. 42" von 1803 heißt es: "Die bequemere Art, seine Nahrung zu erwerben, wird desto lieber von den meist arbeitsscheuen Menschen ergriffen, je leichter es ihnen vom Staate und seinen wohltätigen Einwohnern gemacht wird, das Leben ohne Anstrengung zu fristen." Damit die Almosengaben nicht nur "elende, palliative Mittel" blieben, wurden deshalb "Armen- und Arbeitsanstalten" gegründet. Hier sollten "kraftlose, der Arbeit entwöhnte, faule, sogar kränkliche Personen … mit mannigfaltigen Arbeiten beschäftigt" werden. Die Kinder der Betroffenen wurden in Arbeitsschulen unterrichtet. Dort lernten sie lesen, schreiben. In der entsprechenden Anstalt in Lahr, die vom Verleger des Hinkenden Boten mit begründet worden war, lernten die Kinder auch spinnen und weben. Bei einer Einwohnerzahl von etwa 5000 waren dies immerhin 80 Kinder. Die Erträgnisse aus der "Fabrik" kamen der Armenanstalt zugute.
Erzieherische Gründe entfielen allerdings in Hungerszeiten. Hier ging es darum, Menschen vor dem Verhungern zu bewahren, denn in ganz anderem Maße als heute wirkten sich Mißernten aus. Vor der Rheinregulierung genügte eine heftige Schneeschmelze in den Alpen oder übermäßig viel Regen, um die Ackerflächen, Dörfer und Städte rechts und links des Rheins wochenlang unter Wasser zu setzen. In einem regenreichen Sommer, so wurde berichtet, fuhren die Bauern mit Kähnen über ihre Felder und schnitten mit dem Messer einzelne Ähren ab, um nicht zu verhungern.
Wer die Preise für die einfachen Lebensmittel nicht bezahlen konnte, war auf die Wohltätigkeit und Suppenküchen angewiesen, die in den auf Mißernten folgenden Wintern bis zur nächsten Ernte eingerichtet wurden.
Besondere Ereignisse ließen die Spenden reichlich fließen. Sie wurden bis auf den Kreuzer genau veröffentlicht. Wenn der Spender anonym bleiben wollte, hieß es "von einer edeldenkenden Familie", "von einem Freund der Armen" oder "von einer ungenannten Witwe". Erstaunlich oft und mit erstaunlich hohen Summen wurden die Arbeiter der ortsansässigen Fabriken genannt, sie gehörten also nicht zu den Armen.
Ein besonderer Anlaß ist oft der Grund für eine Spende. Da spendet ein Handelsmann, weil er die Erlaubnis erhielt, bei der Hochzeit seiner Tochter "auf dem Rathaus" zu tanzen. Ein anderer wird wohltätig wegen eines glücklichen Familienereignisses, einer glücklich vollzogenen Verbindung. Die in einem gewonnenen Prozeß erzielte Geldsumme wird gespendet oder "die dem Überfluß an einem Sarge entzogenen 11 Gulden".
Auch Sachspenden gab es, die Handelsleute lieferten kostenlos edle Gewürze, Pfeffer, Muskat und Lorbeerblatt, ohne die man sich offensichtlich nicht einmal eine Armensuppe denken konnte. Frauen brachten Suppengemüse aus den Gärten.
Die Idee mit den Suppenküchen und der nach ihm genannten Rumfordsuppe wird dem Grafen Rumford zugeschrieben. Dieser, ein in England geadelter amerikanischer Physiker kam Ende des 18. Jahrhunderts nach München, wurde dort Kriegs- und Polizeiminister, führte in Bayern die Kartoffel ein und erfand unter anderem einen Sparherd. 1791 wurde ihm der Titel eines Grafen verliehen.
Die Rumfordschen Suppen, "ein sehr zweckmäßiges Gemengsel der wohlfeilsten und nährendsten Vegetabilien, wozu man nicht einmal animalischer Nahrung bedarf", habe, so heißt es im Reichsanzeiger Nr. 8 von 1803, der Graf Rumford eigentlich nur wiederbelebt. Historisch sei diese Suppe, schon die Klostersuppen des Mittelalters seien nach ähnlichem Rezept zubereitet worden. "Verschwenderische Wohltätigkeit war noch nie der Fehler des frommen Clerus." Bis in unser Jahrhundert hinein werden Rezepte für Rumfordsuppen in den bürgerlichen Kochbüchern abgedruckt.
Während dieses Rezept noch keinerlei "animalische Nahrung" enthält, schreiten die Erkenntnisse über die Ernährung des Menschen weiter. Wiederum ein Gelehrter, der Franzose Anton Alexis Cadet de Vaux, empfiehlt - als "wohlfeiles und kräftiges Nahrungsmittel" - die Verwendung von Gallerte aus Knochen: Ein Pfund Knochen ergebe 4 Pfund eines trefflichen Gelees, ausreichend für die Ernährung von 80 Personen. Chaptal, der um die Volksernährung besorgte französische Minister des Innern, verbreitet das Rezept. Der preußische König beehrt den Erfinder mit einem Schreiben und schickt ihm eine Schaumünze mit seinem Porträt.
Als 1803 die Schrift auch in deutscher Sprache erscheint, fängt man in deutschen Städten an, Sammelstellen für Knochen einzurichten, um die in diesem Jahr wieder dringend erforderlichen Armensuppen anzureichern.
Wie groß die Hungersnot 1803 wieder zuschlug, läßt sich an Zahlen ermessen: Allein in Hannover wurden 122 525 Portionen Suppe ausgeteilt. In Karlsruhe spendet im Winter 1804 der "durchlauchtigste Kurfürst von Baden" 1000 Gulden für "Rumfordische Suppen". Zum ersten Mal können nun auch in der badischen Residenzstadt Suppen gekocht werden. Das erstaunt, denn in vielen anderen Städten gibt es Suppenanstalten schon sehr viel früher. Die Spende wird im Provinzblatt durch eine "Polizei-Verkündigung" mitgeteilt, denn der Organisator der Hilfsmaßnahmen ist in Karlsruhe die Polizei-Deputation. Es gibt also hier keine von Bürgern gegründete Anstalt. In einem Anbau des Gewerbehauses kann die Suppe direkt gegessen oder in einem Gefäß mit nach Hause genommen werden. Für die verschämt Armen gibt es eine besondere Einrichtung:
"Für den Dürftigen, der sich mit Wenigem begnügt, ohne einem seiner Mitmenschen beschwerlich fallen zu wollen, und um seiner Bescheidenheit und Verschämtheit willen um so mehr die öffentliche Achtung verdient, ist bei dieser Anstalt auf eine schonende Art gesorgt. Er tritt zu der ersten Tür von der Seite der Hospitalstraße her in die Anstalt, findet gleich rechts eine 2te Tür, legt seine 2 kr (Kreuzer) oder soviel Geld, als er Portionen zu haben wünscht, in die Winde und läutet, wo sogleich durch die Winde das Verlangte hinein gedreht und ihm übergeben wird. Nach genossener Suppe schickt er durch diese Winde Schüssel und Löffel zurück und entfernt sich, damit andere Individuen an dieser Anstalt gleichfalls Teil nehmen können. Findet Jemand die Türe verschlossen, so zeigt dies an, daß das Kabinet besetzt sei und daß man nach Verlauf einer Viertelstunde wieder kommen könnte."