Der Hinkende Bote als Krippenfigur
von Anne-Marie Glaser

Da steht er mit seinem Holzbein mitten in der Ringsheimer Kirche und schaut mit tiefblauen Augen auf das Jesuskind in der Krippe. Der Blick ist freundlich aber ernst und gefaßt, was schließlich der Würde der Situation entspricht. Immerhin ist sich der Hinkende Bote der Ehre bewußt, daß er als überregional bekannte Persönlichkeit stellvertretend für die Kriegsversehrten und Behinderten dem Christkind seine Referenz erweisen darf. Und das bereits seit über zehn Jahren immer wieder von Heilig Abend bis etwa zwei Wochen nach Dreikönig! Den Rest des Jahres steht er in einem Hinterzimmer der Kirche St. Johannes auf einem Regal neben den rund 25 anderen Holzfiguren und zwölf Tieren. Ein Seil sorgt dafür, daß sie nicht umkippen können, und ein großes, schweres Tuch hält den Staub von den kostbaren Krippenfiguren fern. Nun ja, ein wenig traurig sieht der Hinkende Bote hier schon aus, wie er da splitterfasernackt auf seinen Einsatz im Advent wartet. Aber extra mottensicher aufbewahrt bleibt seine schmucke Uniform tadellos in Ordnung. Diese zieht der Mesner Otto Muttach dem hölzernen Gesellen erst kurz, bevor er die Krippe aufstellt, an. In Bundhosen, fescher, leuchtend blauer Jacke mit polierten Metallknöpfen und kühn geschwungenem Hut angetan, wirkt der Hinkende Bote dann schon ganz anders. Jeder Zentimeter ist er der stolze Nachrichtenüberbringer, und immerhin ist er ganze 65 Zentimeter groß. Allein der Hut hat Pfarrer Karl Göz 130 Mark gekostet. Immerhin hat ihn damals eine bekannte Modistin in Freiburg angefertigt. Die meisten anderen Kleidungsstücke der Krippenfiguren wurden dagegen gestiftet. Viele stammen aus den Nähstuben verschiedener Klöster oder wurden von Frauen im Ort genäht. So beispielsweise die Bekleidung einer weiblichen Krippenfigur, die die Fasnachtstracht der Ringsheimer "Rebwieber" trägt. Überhaupt findet der Betrachter an der Krippe so manches Wohlbekannte aus der Region wieder. So tragen Maria und Josef Schwarzwälder Tracht. Ein Uhrenträger macht mit seinem schwerbeladenem Gestell auf den Rücken dem Kindlein in der Krippe ebenso seine Aufwartung wie ein Bettler in Jeans, der sitzend um eine milde Gabe für arme Waisenkinder bittet. Dankbar nickt der arme Mann allen zu, die eine Münze spenden. Mancher Spender hat dabei schon gestutzt, dann erstaunt einen Blick auf Pfarrer Göz geworfen und dabei eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen den beiden festgestellt. Tatsächlich diente dem Holzschnitzer ein Bild des Ringsheimer Pfarrers als Vorlage. Der Pfarrer ist jedoch nicht die einzige Person, die sich in der Krippe wiederfindet. So trägt einer der drei Könige aus dem Morgenland die Gesichtszüge des Papstes, ein anderer die des Bischofs. Drei weitere Figuren tragen das Gesicht von jungen Ringsheimern, die bei Unfällen ums Leben kamen. Auch der Mesner ist in der Krippe verewigt. Immerhin baut Otto Muttach die Krippe in unendlich vielen zusätzlichen Arbeitsstunden jedes Jahr mit viel Liebe fürs Detail in der Kirche auf. An zwei Abenden gehen ihm zehn weitere Helfer zur Hand. Steht dann die Kulisse aus Tannenbäumen, einem echten Wasserfall, dem mit Maiskolben und Tabakblättern behängten Stall und vielem mehr, geht es an die Feinarbeit. Jetzt beherrscht nur noch der Mesner die Szene. Vorsichtig bringt Otto Muttach die beweglichen Gliedmaßen der Holzfiguren in die richtige Position, zupft hier eine Falte zurecht, schiebt dort eine Feder an den
rechten Platz. Zuerst sind es nur etwa die Hälfte der Figuren und echte, ausgestopfte Tiere wie ein Eichhörnchen oder eine Eule, die der Mesner um das Jesuskind gruppiert. Zu dieser ersten Gruppe zählt der Hinkende Bote. Ab Drei König

kommt dann der bunte Zug der Weisen aus dem Morgenland hinzu. Wunderschön sehen diese in verschwenderischer, orientalischer Pracht gekleideten Krippenfiguren aus. Besonders stolz ist Pfarrer Göz auf einige aus Asien stammende Figuren und eine herrliche Sänfte, die von einem befreundeten chinesischen Bischof stammen. Imposant sind der Elefant und das größte Kamel im Ortenaukreis. Letzteres mit dem typischen arroganten Blick dieser stolzen Wüstentiere. Auf beiden könnte bequem ein Kind sitzen. Steht die Krippe an Drei König komplett, reicht sie von der Kanzel bis zum Altar und nimmt ungefähr 20 Quadratmeter ein. Jeden Sonntagnachmittag erklärt Pfarrer Göz interessierten Besuchern die Krippe. Gruppen können sich unter Telefon 0 78 22 / 2252 auch für eine Führung an einem anderen Tag anmelden. Ganze Busse mit Menschen kommen teilweise von weit her, um sich diese eindrucksvolle Krippe anzusehen. Die meisten vergewissern sich zuvor, ob auch wirklich ein Fünfzig-Pfennig-Stück in ihrem Geldbeutel ist. Mit einem solchen können sie die Krippe nämlich zum Leben erwecken. Dann beginnt der Wasserfall zu plätschern, ein Büblein läutet eine Glocke, ein Mann hackt Holz, ein anderer sägt, und vieles mehr bewegt sich. Der Hinkende Bote dagegen steht still beobachtend an seinem Platz. Ganz so, als ob er sich alles genau einprägen möchte, um später in die Welt hinauszuziehen und von dieser ungewöhnlichen Krippe berichten zu können.


 



Der Lahrer Hinkende Bote in Ringsheim.


Der Hinkende Bote auf dem Weg zur Krippe.