Rezept zur Beförderung des Kalenders
von Wilhelm Schlang

Zum 100. Geburtstag von Albert Bürklin im Jahre 1916 erinnert Wilhelm Schlang, selbst Kalenderschreiber schon zu Bürklins Lebzeiten, an eine Begebenheit, die sich zutrug, als sein Vorgänger noch den Kalender schrieb. Sie könnte ihrerseits eines von jenen Schelmenstückchen sein, die im Kalender von Anbeginn an so gerne erzählt worden sind.
Es gibt Kalender des Lahrer Hinkenden Boten, die fast ganz allein von unserem Bürklin geschrieben sind. Aber wie denn der rauschende Bach zuzeiten ausgetrocknet oder ein auserwählter Rebberg keine Trauben geben mag, so geschah es einmal mit unserm Kalendermacher. Es war im Frühsommer, wo es draußen in der Natur zu reifen beginnt, aber auch der Kalender reif werden soll. Albert Bürklin ging nach der Amtslast des Tages im Karlsruher Schloßgarten lustwandeln und dachte: "Schöner haben die Amseln und Nachtigallen nie gesungen als heuer! Ist auch ein erbaulicheres Tun als Geschichtenschreiben. Wir wollen ein weniges lauschen und den Hinkenden warten lassen."
Herr Schauenburg, der Drucker, sandte ein Brieflein ums andere, sanfte und eindringliche Mahnungen, in die Landeshauptstadt, und was gab Bürklin zurück? Nichts als den Stoßseufzer: "Der Kalender bringt mich noch um!"
Da fing Herr Schauenburg es anders an und schrieb dem Bürklin: Wenn sein Amt ihn zufällig nach dem Oberland führe - zu Lahr warte ein neues Fäßlein auf den Anstich.
Und richtig! Der Herr Oberingenieur hat eine Tagfahrt tun müssen nach Dinglingen, und es wurde nachher in Lahr vorgesprochen.
Der Gastgeber hat den Wein heraufholen und ein Frühstück herrichten lassen. Wie nun der Herr Oberingenieur die Herrlichkeiten gebührend ehrte: den Markgräfler, Auslese des Jahrgangs 85, ein Pärlein Bratwürste nebst geprägelten Herdäpfeln (Bratkatoffeln), da schlich der Herr Schauenburg, sonst ein Ehrenmann von Scheitel bis zur Sohle, auf den Zehenspitzen hinaus, und der Gast merkte nichts davon, daß die einzige Tür des großen Schreibzimmers von außen verschlossen wurde, bis er sich über sein Alleinsein Gedanken machte und Umschau hielt.
Unten zur Tür wurde ein Blatt hereingeschoben. Der Gefangene hielt das Papier vor seine Brillengläser und las aus der Hand des Verlegers, er solle nicht wieder aus der Haft entlassen werden, er liefere denn, Schwarz auf Weiß, das fällige Schlußstück zum Kalender.
Also sind dem Herrn Bürklin nachträglich die Bratwürste versalzen worden, und der Markgräfler hat ein Nachgeschmäckle gehabt.
Nach ein paar Stunden jedoch legte der Herr Oberingenieur in die Hände seines Gastgebers das Schlußstück des Kalenders, wie es längst im Kopfe ausgedacht war und nur von rüstiger Feder sauber hingesetzt zu werden brauchte. Der Herr Schauenburg ließ zur Versöhnung noch einen Markgräfler kommen, und man hat nichts davon gehört, daß das gefährliche Rezept zur Beförderung des Kalenders noch ein zweites Mal wäre angewandt worden.



 



Albert Bürklin