Vor 300 Jahren gebaut
Neuf-Brisach und der Canal Vauban
von Gertrud und Eberhard Löbell

Fährt man vom elsässischen Neuf-Brisach nach Süden und biegt hinter Weckolsheim nach Westen Richtung Niederhergheim und Rouffach ab, begleitet ein Kanal einige Kilometer weit die schnurgerade Straße. Dicht mit Sträuchern und Bäumen bewachsen sind seine Ufer, weit hängen die Äste und Zweige aufs Wasser hinab. Kein Schiff, kein Boot ist zu sehen, ab und zu verharrt ein Angler reglos am Ufer. An der Kreuzung nach Dessenheim und Hettenschlag führt eine Brücke über den Kanal, ein Wehr leitet das Wasser ab zu einer Mühle dicht daneben; seit einigen Jahren ist sie nicht mehr im Betrieb.

"Canal Vauban" lesen wir auf einem Schild. Wir fahren weiter, schließlich verläßt der Kanal die Straße und geht bei Oberhergheim in den Quaddelbach über, der südwärts bis Ensisheim parallel zur Ill verläuft. Was nun verbindet diese schmale und heute nicht mehr befahrene Wasserstraße mit dem berühmten französischen Festungsbauer Vauban, dessen Namen sie trägt?

Während des Dreißigjährigen Krieges eroberte Frankreich 1639 Breisach, und Vauban erhielt den Auftrag, die Stadt zur Festung auszubauen. Der Friedensvertrag von Ryswick 1697, der den Pfälzischen Erbfolgekrieg beendete, bestimmte die Rückgabe der rechtsrheinischen Gebiete an Österreich. Ludwig XIV., bekannt als der Sonnenkönig, sah sich gezwungen, seine nun linksrheinische Grenzen im Osten zum Schutz des Elsaß neu zu befestigen.

Maréchal Sébastien le Prestre de Vauban, genialer Baumeister und "Ingenieur de roi" erhielt 1698 den Auftrag, eine neue Festung zu errichten. Der Platz dafür war bald gefunden: etwa drei Kilometer westlich des Rheins und dem deutschen Breisach genau gegenüber, aber außer Reichweite seiner Kanonen, und im Kreuzungspunkt der Straßen Straßburg-Basel und Colmar-Breisach sollte eine neue Festungsstadt entstehen. Vauban schuf auf ebenem und freiem Gelände eine gewaltige Zitadelle in Form eines regelmäßigen Achtecks, umgeben von Wällen und Bastionen, mit dreifach gestaffelten Schanzen. Die mächtige Festungsanlage blieb bis heute nahezu unverändert erhalten und konnte 1998/99 ihr dreihundertjähriges Bestehen feiern. Neuf-Brisach war Vaubans dreiunddreißigste, letzte und vollkommenste Feste, die er für seinen König plante und erbaute.

Die Ausführung der Bauarbeiten übertrug man Jean-Baptiste de Regemorte, einem aus Holland stammenden Maurermeister und Bauunternehmer. Er brachte ein Heer von holländischen Arbeitern mit, die als ausgezeichnete Handwerker galten. Sie ließen sich zwischen der geplanten Stadt und dem Dörfchen Biesheim nieder; heute noch erinnert der Flurname "Petite Hollande" nördlich von Neuf-Brisach an die einstige Bauarbeitersiedlung.

Doch wo sollte man das Baumaterial für diese gigantische Festung finden, wie es herbeischaffen? Regemorte machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Ort, der diese ungeheuren Mengen von Steinen, Kalk und Bauholz liefern konnte. Das alles fand sich nirgendwo in der Rheinebene, sondern erst in beträchtlicher Entfernung in den Vogesen. Für den Transport kam in der damaligen Zeit eigentlich nur ein Wasserweg in Frage, der aber erst noch geschaffen werden mußte.

Nach Abwägung verschiedener Möglichkeiten entschied sich Regemorte für den Bau eines Kanals von Pfaffenheim bei Rouffach am Vogesenrand durch die elsässische Ebene bis zum Standort der neuen Festung nahe des Rheins. Steinbrüche befanden sich in der Nähe von Pfaffenheim, Holz fällte man in den Vogesenwäldern, und aus örtlichen Vorkommen konnte Kalk gebrannt werden. Das gesamte Material ließ sich auf kurzen Wegen mit Karren und Wägen zur Verladestelle der Schiffe in den Hügeln bei Pfaffenheim transportieren.

Unverzüglich begann man mit den Bauarbeiten am Kanal. Ein Heer von Soldaten rückte an, und Regemorte ließ sie das Kanalbett ausheben, Böschungen aufschütten und befestigen. Brücken mußten gebaut werden, wo Straßen den Kanal kreuzten, Wehre und Schleusen wurden eingerichtet, um das Wassergefälle auszugleichen. Zu- und Ablaufgräben mußten gezogen werden; die Lauch, die Thur und die Ill waren zu überqueren. Die Soldaten wurden in umliegenden Dörfern einquartiert oder kampierten auf freiem Feld. Drei bis vier Bataillone waren pausenlos im Einsatz, und in der Rekordzeit von nur sechs Monaten hatten sie die künstliche Wasserstraße fertiggestellt. 34 Kilometer lang und zehn Meter breit war der Kanal, 1,50 Meter tief sein Wasser. Die Lauch und die Ill überquerte der Kanal auf hölzernen Aquädukten, die Thur wurde hineingeleitet.

Vauban hatte stets interessiert am Kanalbau Anteil genommen. Der Schriftwechsel, der ihn über den Fortschritt der Arbeiten unterrichtete, ist erhalten. Der Festungsbauer hatte genaue Berechnungen über die Menge an Quadersteinen, Bruchsteinen, Kalk und Holz angestellt, die er für Neuf-Brisach benötigte. Er kalkulierte die Ladefähigkeit der Schiffe und die erforderliche Anzahl der Fahrten. Er ging davon aus, daß jedes Boot sechs bis acht Fahrten pro Monat unternehmen könne und daß der Kanal acht Monate im Jahr schiffbar sei.

Der Transport des Baumaterials für Neuf-Brisach konnte beginnen, und wiederum herrschte reges Treiben auf dem Kanal und an seinen Ufern. Über 100 Boote in drei unterschiedlichen Größen für die verschiedenen Materialien (sie waren etwa zehn Meter lang und vier Meter breit) waren im Einsatz. Tag für Tag - und in mondhellen Nächten sogar des Nachts - brachten sie Steine, Kalk und Holz zur Großbaustelle. Drei bis vier Tage benötigten die von Menschenkraft gezogenen Transportkähne für ihren Weg vom Vogesenrand durch die elsässische Ebene.

Der Plan eines findigen Unternehmers, jeweils sechs Schiffe zusammenzuspannen und sie von zwei Pferden ziehen zu lassen, erwies sich als nicht durchführbar. In den Biegungen des Kanals, in Schleusen, unter Brücken und an den Aquädukten ließen sich die Konvois schlecht manövrieren; die Kähne stellten sich quer, kollidierten, wurden zerstört und beschädigten die Kanalanlagen. Man griff also wieder auf Tagelöhner zurück, die für ein geringes Entgelt die Arbeit übernahmen. Jeweils drei Mann waren für ein Boot verantwortlich: einer stand am Ruder, während zwei andere die Schiffe an Seilen zogen.

Auch über eine weitere Nutzung des Kanals nach Fertigstellung der Feste Neuf-Brisach machte sich Vauban Gedanken. Er sollte die Bewohner der Stadt und die Garnison mit Heu, Stroh, Weizen, Wein, Holz und anderen notwendigen Materialien versorgen. Müller, Gerber, Färber und andere Handwerker, die zur Ausübung ihres Berufes aufs Wasser angewiesen sind, sollten sich an seinen Ufern niederlassen.

Doch nur für eine kurze Zeit wurde der Kanal, den man nach seiner Fertigstellung "Canal de Rouffach" nannte, in der ursprünglich vorgesehenen mannigfaltigen Art genutzt. Im Jahre 1703, also nur vier Jahre nach seiner Fertigstellung, ließ Maréchal Catinat, Befehlshaber der elsässischen Truppen im Spanischen Erbfolgekrieg, den westlichen Teil zwischen Pfaffenheim und der Ill zuschütten. 1797 wurde der Kanal in "Canal de Neuf-Brisach" umbenannt; erst Napo-

leon I. gab ihm den Namen "Canal Vauban", um den großen Festungsbaumeister zu ehren. In Vergessenheit geraten ist dagegen der Mann, der den Kanal erbaut hat und der es verdient hätte, daß er seinen Namen trägt: Jean-Baptiste de Regemorte. Kein Portrait, keine Büste von ihm ist erhalten, niemand weiß heute, wie er ausgesehen hat.

Noch einmal durfte im Oktober 1998 ein Teil des Kanals aus seinem Dornröschenschlaf erwachen. Zum Auftakt der Feierlichkeiten zum "Tricentennaire" Neuf-Brisachs übergab eine Delegation aus Pfaffenheim symbolisch historisches Baumaterial vom Vogesenrand. Die letzte Strecke wurde mit Booten, die Romain Ciry, Schulleiter und Bürgermeister von Pfaffenheim, originalgetreu nach alten Vorbildern nachbauen ließ, auf dem Canal Vauban zurückgelegt.



 



Vom Fuß der Vogesen bis zum Rhein wurden vor 300 Jahren Baumaterialien zum Bau der Festung Neuf-Brisach auf dem 34 Kilometer langen Canal Vauban transportiert.


Wehre und Schleusen mußten am Canal Vauban das Gefälle ausgleichen.


Ein Schild bei Neuf-Brisach erinnert noch heute an die ehemalige Arbeitersiedlung des holländischen Kanalbauers Jean-Baptiste de Regemorte.


Für Sébastien le Prestre de Vauban, genialer Baumeister und "Ingenieur de roi", war Neuf-Brisach die 33. und letzte Festung, die er entworfen und gebaut hat.