Weithin sichtbar ist der hohe Kirchturm der ehemaligen Klostergemeinde Schuttern. Die Ortschaft Schuttern, heute Ortsteil der Gemeinde Friesenheim, beherbergte einst das älteste Kloster am Oberrhein. Die Gemeinde liegt zwischen Offenburg und Lahr, bis zur ehemaligen Bischofsstadt Straßburg sind es nur knapp 30 Kilometer. Nur die Kirche mit dem weithin sichtbaren barocken Turm, das Refektorium, das heute als Pfarrhaus dient, und Stücke der Klostermauer sind von dem tausendjährigen Kloster am Oberrhein übrig geblieben.
Nach der Überlieferung soll ein adliger
iroschottischer Mönch namens Offo im Jahre 603 das Kloster Schuttern in der Ortenau gegründet haben. Die früheren Bezeichnungen des Klosters "Offoniscella" und "Offunwilare" sowie der Stadtname Offenburg leiten sich von dem Namen des Klostergründers ab. Im 8. Jahrhundert wurde das Kloster von Pirmin reformiert, und die Regeln des heiligen Benedikt wurden eingeführt. Im Kapitular Ludwig des Frommen von 817, dem ersten gesicherten Zeugnis, wird Schuttern unter die 14 bedeutendsten Reichsklöster eingereiht. In karolingischer Zeit lebten über 300 Mönche in der Abtei. Das aus dieser Zeit stammende Evangeliar des Diakons Liutharius, das im Britischen Museum in London aufbewahrt wird, zeugt von der hohen künstlerischen Leistung der Mönche.
Durch den frommen Kaiser Heinrich II. kam das Kloster Schuttern zu seiner Blüte. In einer Schenkungsurkunde aus dem Jahr 1016 erhielt das Kloster die Ortschaften der heutigen Gemeinde Friesenheim zugeteilt. Durch diese großzügige Zuwendung gilt der deutsche Kaiser als neuer Klostergründer. Das Klosterwappen stellt den Kaiser als Stifter dar. Die Bauernkriege blieben auch für das Kloster Schuttern nicht ohne Folge. Aufrührige Bauern aus Friesenheim und Lahr stürmten 1525 das Kloster und richteten großen Schaden an. Das Kloster wurde ausgeplündert und verwüstet.
Ein bedeutendes Ereignis lenkte den Blick Europas auf das Kloster in Schuttern: die Erzherzogin von Österreich, Maria Antonia, die spätere französische Königin Marie Antoinette, verbrachte dort auf der Reise von Wien nach Paris am 6. Mai 1770 ihre letzte Nacht auf deutschem Boden. Bereits im Dezember 1769 war das Kloster benachrichtigt worden, daß die Dauphine am
6. Tag ihrer Reise in Schuttern übernachten würde. Abt Carolus Vogler hatte keine leichte Aufgabe zu bewältigen, galt es doch einen riesigen Brautzug unterzubringen. Das Gefolge der künftigen Königin von Frankreich bestand
aus 257 Personen, 57 Wagen und
450 Zug- und Reitpferden. Das Kloster mußte renoviert werden, Bettstatten und Stühle wurden gekauft, Tücher, Baldachine, Vorhänge, Spiegelwandleuchter, Lavoirs, Gläser, Karaffen, Fayencen, Deckbetten, Matratzen und vieles mehr mußte angeschafft werden. Das Kloster wurde in einem Gewaltakt zu einem sehr aufwendig ausgestalteten barocken Herrscherpalast umgewandelt. Das Rastatter Hoforchester mit 28 Musikern wurde geordert. Als Abt Vogler alle Aufwendungen und Rechnungen addiert hatte, ergab sich der riesige Betrag von insgesamt 15.086 Gulden und 50 Kreuzern. Heute müßte für die vielen Aufwendungen für das große Fest bestimmt ein Betrag von nahezu einer Million Mark aufgewendet werden.
Der Brautzug, bestehend aus Fürsten, Grafen, Gräfinnen, Hofdamen, Lakaien, Knechten und dem persönlichen Beichtvater der Braut, zog am frühen Nachmittag des 6. Mai 1770 durch das große Tor des Klosters ein. Die Bevölkerung stand Spalier, Glockengeläut des Schutterner Domes und Kanonensalut begrüßten den hohen Besuch. Der Abt, begleitet von allen Kapitularen sowie den Unter- und Oberbeamten der Abtei, empfing die Braut mit der tiefsten Verehrung. Nach einer Ruhestunde im extra eingerichteten prächtigen eigenen Gemach fand im Audienzsaal der Empfang statt. Der Abt und sämtliche Kapitularen und die Beamten wurden zum Handkuß zugelassen. An der nachfolgenden Mittagstafel nahm auch die Markgräfin von Baden mit den drei Prinzen von Baden-Durlach teil. Das markgräfliche Hoforchester sorgte während der Tafel für Musik.
Nach der Festtafel wurde Abt Carolus Vogler, der als Prälat verfassungsmäßiges Mitglied der Vorderösterreichischen Landstände war, zum Kaiserlichen, auch Kaiserlich-Königlichen Wirklichen Geheimen Rat erklärt. Das Fest fand seinen Höhepunkt mit einer Illumination der ganzen Klosteranlage mit übereinanderstehenden Ampeln, vielen Fackeln und einem im Kunstfeuer brennenden Adler. Für das Feuerwerk mußte eigens ein großes Gerüst errichtet werden. Nach dem prachtvollen Feuerwerk, das alle Be
sucher zu wahren Begeisterungsstürmen hinriß und die Dauphine aufs höchste entzückte, geruhte ihre königliche Hoheit sich zur Nachttafel zu begeben.
Am nächsten Morgen wohnte Marie Antoinette der heiligen Messe in der Hauskapelle bei und zog dann unter dem Geläut der Glocken nach Kehl weiter. Als Dank für die großzügige Beherbergung des Brautzuges erhielt Abt Carolus Vogler von der Dauphine ein mit
Diamanten besetztes Brustkreuz. Nach 36 Jahren, als Napoleon das Kloster
Schuttern aufhob und dem Land Baden zuschlug, wurde dem Kloster auch dieses teure Diamantenkreuz abverlangt.
Nördlich der Ortschaft Schuttern überspannt eine kleine Bogenbrücke den Bachlauf der Schutter. Über diese Brücke rollte der große Brautzug, die Brücke hat im Volksmund heute noch den Namen
"Marie-Antoinette-Brücke". Die Übergabe der erst 15 Jahre alten Braut an den
französischen Hofstaat erfolgte zwischen Kehl und Straßburg auf einer Rheininsel. Die Dauphine wurde komplett entkleidet, damit die künftige französische Königin nichts, auch nicht Hemd oder Strümpfe, von einem fremden Hofe mitbrachte.
Der Straßburger Brautzug der künftigen
französischen Königin wurde von Johann Wolfgang Goethe, der damals als
junger Student in Straßburg weilte, in seinem Buch "Dichtung und Wahrheit" beschrieben: "Eine merkwürdige Staats-
begebenheit setzte alles in Bewegung und verschaffte uns eine ziemliche Reihe Feiertage. Marie Antoinette, Erzherzogin von Österreich, Königin von Frankreich, sollte auf ihrem Weg nach Paris über Straßburg gehen. Der schönen und vornehmen, so heiteren als imposanten Miene dieser jungen Dame erinnere ich mich noch recht wohl. Sie schien, in ihrem Glaswagen uns allen vollkommen sichtbar, mit ihren Begleiterinnen in vertraulicher Unterhaltung über die Menge, die ihrem Zug entgegenströmte, zu scherzen. Abends zogen wir durch die Straßen, um die verschiedenen illuminierten Gebäude, besonders aber den brennenden Gipfel des Münsters zu sehen, an dem wir sowohl in der Nähe als in der Ferne unsere Augen nicht genugsam weiden konnten. Die Königin verfolgte ihren Weg; das Landvolk verlief sich, und die Stadt war bald ruhig wie vorher. Vor Ankunft der Königin hatte man die ganz vernünftige Anordnung gemacht, daß sich keine mißgestalteten Personen, keine Krüppel und ekelhafte Kranke auf ihrem Weg zeigen sollten."
Marie Antoinette, 1755 als Tochter von Marie Theresia und Kaiser Franz I. in Wien geboren, wurde im Alter von erst 15 Jahren, aus Gründen der Staatsräson mit dem späteren französischen Ludwig XVI. verheiratet. Im Alter von 19 Jahren war sie bereits Königin von Frankreich. Das Leben dieser jungen Frau endete im Jahre 1793 unter der Guillotine, die auf dem Platz der Revolution in Paris aufgestellt war.
Viele behaupten, daß mit der Übernachtung der Dauphine Marie Antoinette in Schuttern, dem bedeutendsten Tag in der langen Geschichte der Abtei, auch deren Untergang seinen Anfang genommen habe. Besiegelt wurde dieser jedoch erst im Jahre 1805 in Ulm, nur wenige Wochen nach dem entscheidenden Sieg Napoleons über die Österreicher. In Schuttern erschien am 17. Dezember 1805 ein Kommissar der neuen Obrigkeit und verkündete das Ende des Stiftes Schuttern.
Die Klostergebäude standen in der Folgezeit leer. Viele unbewohnte Gebäude wurden zu Ruinen und wurden auf Abbruch veräußert. Viele Gebäude in der mittleren Ortenau wurden aus den Steinen und Balken des Klosters errichtet.
Seit der Säkularisation gehören die Reste der Klosteranlage dem Staat. In den Jahren 1972 bis 1978 wurde die Klosterkirche renoviert und archäologisch untersucht. Auf fest installierten Laufstegen können die Ergebnisse der Grabung in der Unterkirche betrachtet werden. Fundamentreste, Gräber und Mauern führten die Besucher zurück bis in die Römerzeit. Höhepunkt der Begehung ist jedoch das Mosaik, das als Einfassung des in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts erneuerten Offograbes diente. Das Medaillon hat einen Durchmesser von 3,38 Metern, abgebildet ist unter anderem der biblische Brudermord, Kain erschlägt seinen Bruder Abel. Das Mosaik wird als ältestes deutsches Fußbodenmosaik bezeichnet. Bei der Grabung konnte auch die Grablege des Grafen Hermann von Geroldseck aus dem Jahre 1262 gefunden werden.
Die archäologischen Ergebnisse der Grabung hellen die Frühgeschichte des Klosters auf. Durch die in vorbildlicher Weise sichtbar gemachte Geschichte des Bauwerks ist die Klosterkirche daher mehr als der fast einzig erhaltene sichtbare Rest des Klosters, sie ist ein Museum für die klösterliche Frühzeit.