Der erste deutsche Sprachverein
Die Fruchtbringende Gesellschaft
von Brigitte Squarr

Kaum zu glauben, wie ungewöhnlich trendy die Deutschen vor vier Jahrhunderten nach heutigen Maßstäben waren: Wer als besonders chic erscheinen wollte, durchsetzte seine Alltagssprache mit lateinischen, französischen, italienischen und spanischen Wortelementen, ganz wie es gerade paßte oder dem Sprechenden passend erschien. Auch heute gilt es als zeitgemäß, die Sprache mit fremdsprachlichen und nicht-sprachlichen, nämlich erfundenen Worten "aufzustylen. .

Einen Unterschied zur heutigen Zeit gab es allerdings doch: Latein war damals eine Gelehrtensprache, und Personen dieser Kreise beherrschten sie wie eine zweite Muttersprache. Heute ist es leider häufig so, daß diejenigen, die eine besonders ausgeprägte sprachliche Mixtur verwenden, weder ihre Muttersprache noch eine Fremdsprache wirklich beherrschen. Allerdings rüttelte damals die Sprachverunstaltung entscheidende Leute wach, denn im 17. Jahrhundert brachte die Sprachunsitte eine Gruppe Adliger buchstäblich auf die Palme: auf den Palmenorden.

Ein Trauerfall hatte die maßgeblichen Männer an einen Tisch versammelt, als Herzogin Dorothea Maria von Sachsen-Weimar, die Schwester von Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen, beim Reiten tödlich verunglückt war. Nach ihrer Beisetzung am 24. August 1617 kam auf Schloß Hornstein (später Wilhelmsburg genannt) unter den Trauergästen das Gespräch auf die im Ausland bestehenden Sprachgesellschaften. Europäische Vorreiter fanden sich damals in den Niederlanden und in Italien. Schon im 15. Jahrhundert hatte es in fast jeder größeren italienischen Stadt eine solche Accademia gegeben, die das Ziel verfolgten, die Landessprache in Literatur und Wissenschaft als gängig einzuführen.

Als bedeutendste italienische Sprachgesellschaft galt die noch heute bestehende Accademia della Crusca, 1582 in Florenz gegründet. Seit dem 21. Juli 1600 war auch Fürst Ludwig von Anhalt darin Mitglied. Diese italienische Accademia wurde das Vorbild der Fruchtbringenden Gesellschaft (FG), die am Beerdigungstag der Herzogin von Sachsen-Weimar auf Anregung des Hofmarschalls Kaspar von Teutleben gegründet wurde. Um den Mitgliedern Rückhalt zu bieten, sollte stets ein Fürst das Amt des Oberhaupts innehaben, und so gelangte Ludwig von Anhalt als erster in diese Position.

Die Aufnahme von neuen Mitgliedern oblag dem Oberhaupt. Jedes Mitglied konnte jedoch Vorschläge zur Neuaufnahme unterbreiten. Grundsätzlich stand die Mitgliedschaft jedem offen, gleich ob adliger oder bürgerlicher Herkunft. Voraussetzung war ein christliches Glaubensbekenntnis sowie die Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift. Frauen war

der Eintritt in die Fruchtbringende Gesellschaft verwehrt. Bei seiner Aufnahme in die FG erhielt jedes Mitglied, nach dem Vorbild der Accademia della Crusca, einen Gesellschaftsnamen,

einen Spruch und ein Emblem verliehen. Untereinander redete man sich nur mit dem Gesellschaftsnamen an. Somit entfielen die üblichen Titel und damit die verbundenen Standesschranken. Sinnbild der Gesellschaft wurde die Kokospalme. Daraus folgte die in späterer Zeit häufig verwendete Bezeichnung der Gesellschaft als "Palmenorden. . Wie dieser Baum, der in vollem Umfang zu nutzen ist, sollte jedes Mitglied der FG nützlich sein. Fürst Ludwig, Gesellschaftsname "Der Nährende. , warb in seiner Amtszeit, die 1650 mit seinem Tod endete, 527 Mitglieder. Das war weit mehr als die Hälfte der insgesamt 890 Mitglieder, die in der FG aufgenommen wurden.

Aber nicht nur in adligen Kreisen regte sich das Unbehagen gegen Sprachverstümmelung. "Ich bin nun deschargiert von dem maladen Leben./ Mir hat der Maur facon genug disgousto geben./ Wo Einfalt avancirt, und Unschuld mit raison,/ Die retrogarde hat da ist die Sache bon.... . Mit diesem Gedicht wies Sigmund von Birken auf die Sprachverunstaltung hin, und sein Beispiel kann noch nicht einmal als außergewöhnlich kraß bezeichnet werden, wenn man Briefe aus jener Zeit in Alamodischer Sprache (à la mode - nach der Mode) einsieht. Sigmund von Birken wurde am 5. Mai 1626 in Wildstein bei Eger als Sohn des dortigen Pfarrers geboren. Im Mai 1654 adelte ihn Kaiser Ferdinand III. und 1658 fand er Aufnahme in die FG. Birken führte die Nummer 681 und den Gesellschaftsnamen "Der Erwachsene. .

Die erste wissenschaftliche Abhandlung über die Gesellschaft erschien erst gegen Ende ihres Bestehens. Sie wurde in Leip-zig im Jahre 1672 unter dem Titel

"Disqvisitio Historica de societate fructifera der Fruchtbringenden Gesellschaft/ qvam inclytae Facultatis Philosophicae indultu. herausgebracht. Verfaßt hatte sie der Theologiestudent Jakob Friedrich Müller, unterstützt von Elias Geissler, einem Theologen aus Schlesien. Gewid-met ist die Schrift einem Gönner Geisslers, Georg Schöbel von Rosenfeld, seit 1669 unter dem Namen "Der Himmlisch-gesinnte. in der FG. Die Schrift befaßte sich allerdings weniger mit der literarischen Wirksamkeit der FG, sondern mehr mit der schier unüberschaubaren Anzahl hochgestellter Persönlichkeiten, die sich der Mitgliedschaft erfreuten.

Die fortschrittlichen und oft quergedachten Pläne der Fruchtbringenden Gesellschaft, die besonders durch das erste Oberhaupt, Fürst Ludwig von Anhalt, vertreten wurden, geben noch heute der Literaturwissenschaft Rätsel auf. Es hat oft den Anschein, als weigere man sich, die klar formulierten Vorhaben und Richtlinien der FG anzunehmen, sondern hinterfragt, ob es denn nicht doch irgendein Geheimnis gegeben habe.

Für welche Hypothesen mußte die FG nicht schon herhalten: Sie galt als "Antikaiserlicher Bund. , da der Kaiser katholisch war, und als Vorläuferin der politischen Parteien. Schon zu Lebzeiten des Gründers hatte es die FG weit von sich gewiesen, als Ritterorden, Ritter-akademie oder Tugendgesellschaft zu gelten. Ludwig Keller wollte Anfang des 20. Jahrhunderts in der FG gar eine Freimaurerloge erkennen, die die Muttersprache als Vorwand und darüber hinaus als "Geheimsprache. nutzte. Der FG wird auch vorgeworfen, daß sie trotz der Versicherung, auch Bürgerlichen offenzustehen, vornehmlich aus

Adligen bestand. Die Kluft zwischen Adel und Bürgertum konnte jedoch nur allmählich über einen längeren Zeitraum hinweg überwunden werden. Dabei waren Adel und Nicht-Adel auf Vermittlerpersönlichkeiten angewiesen wie Georg Philipp Harsdörffer, der aufgrund seiner Herkunft aus einer vermögenden Patrizierfamilie ein Wanderer zwischen beiden Welten war. Harsdörffer führte dann auch der FG die meisten Neumitglieder zu. 1642 eingetreten, warb er für die Gesellschaft bis 1650 über 50 "Neue. . Für das 17. Jahrhundert war das Miteinander von Adel und Nicht-Adel ein entscheidender Fortschritt.

Herzog Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar wurde 1651 zum Nachfolger des Fürsten Ludwig gewählt. 1652 stellte er mit Georg Neumark einen jungen, bürgerlichen Sekretär ein. An der Leitung der FG wenig interessiert, übertrug er Neumark nach und nach die Geschäfte der Gesellschaft, nahm ihn 1653 in derselben auf und erfand für ihn das Amt des "Erzschreinhalters. . Der bürgerliche Georg Neumark bestimmte seither weitgehend die Aufnahmepolitik, doch von 262 Neuaufnahmen kamen nur 30 aus dem bürgerlichen Stand.

Ein oft genannter Vorwurf lautet: die FG sei keine Sprachgesellschaft gewesen, weil sich zu wenige ihrer Mitglieder schriftstellerisch betätigt hätten. Bemängelt wird vor allem, daß nicht jeder große Dichter des Barock Mitglied der FG war. Hier wird häufig Paul Fleming genannt, der allerdings sehr jung verstarb. Fleming wurde 1609 geboren und trat bereits mit 24 Jahren eine Orientreise an, von der er 1639 zurückkehrte. In den Jahren 1639/40 beendete er in den Niederlanden sein Medizinstudium. Auf der Rückreise von Leiden nach Reval erkrankte er in Hamburg tödlich. Der Freund und Reisegefährte Paul Flemings, Universitätsprofessor Adam Olearius, wurde 1651 als "Der Vielbemühte. Mitglied der FG. Das literarische Vorbild Flemings, Martin Opitz, gehörte ebenfalls der FG an, hatte sich sogar überaus intensiv um die Mitgliedschaft bemüht. Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorp, Initiator von Flemings Persienreise, schloß sich 1642 als "Der Hochgeachtete. der Sprachgesellschaft an. Es ist wahrscheinlich, daß auch Fleming, hätte er länger gelebt, in die FG aufgenommen worden wäre.

Als Herausgeber von Büchern sind weder die FG noch andere Sprachgesellschaften aufgetreten. Werke, die unter ihrem Einfluß entstanden, erschienen immer unter dem Namen des Mitglieds oder unter dem Pseudonym des Gesellschaftsnamens. Unumstritten ist aber, daß die FG das literarische Schaffen außerhalb ihres Mitgliederkreises ankurbelte. Denn wer noch nicht dem erlauchten Kreis angehörte, hoffte, dieses Ziel zu

erreichen, wenn er eines seiner Werke einem einflußreichen Mitglied der FG widmete.

Eine philologische "Arbeit von der Teutschen Haubt Sprache. brachte 1663 Justus Georg Schottelius heraus. Rund 200 Jahre vor Duden erschien 1666

in Halle "Die Deutsche Rechtschreibung. von Christian Gueintz. Dieses Werk könnte als Gemeinschaftsarbeit der Mitglieder des Palmenordens ange-

sehen werden, da das Manuskript unter ihnen zur Verbesserung und Ergänzung

kursierte. Dem Vorhaben der FG, den deutschen Wortschatz zu erweitern und

die Sprache damit literaturfähig

zu machen, trug 1691 Kaspar von

Stieler Rechnung, indem er in Nürnberg

das erste deutsche Wörterbuch herausgab.

Das Gros der literarischen Arbeiten

von FG-Mitgliedern lag allerdings in der Übersetzung klassischer Werke. Sigmund von Birken übersetzte das erste Buch

der Aeneis von Vergil, Martin Opitz französische und italienische Gedichte sowie Werke von Seneca und Sophokles. Adam Olearius, inspiriert von seiner Reise in den Nahen Osten, legte, gemeinsam mit

einem ihm bekannten Perser, die Über-

setzung des "Persianischen Rosenthal.

vor. Das Ausland reizte ohnehin in jener

Zeit, und wer es sich leisten konnte, den zog es in die Fremde. 1682 beauftragte

der Kurfürst von Brandenburg ("Der Untadeliche. ) Otto Friedrich von der Groeben mit einer Expedition ins heutige Ghana, die sich in einer Fülle von Reiseberichten niederschlug.

Eher eine "Studierstubenreise. unternahm Sigmund von Birken und legte seine Beschreibung vom "Donau-Stand Mit Allen seinen Ein- und Zuflüssen& . vor. Eine Reise von der Quelle der Donau bis zu deren Mündung ins Schwarze Meer hätte sich der aus einfachen Verhältnissen stammende von Birken nie leisten können. Er hatte jedoch viele Freunde, aus deren Briefen er um die Schönheit der Landschaft wußte, die er wohl mitreißend und überzeugend wiedergegeben hat. Das Buch erschien 1717 in 15. Auflage.

In solcher und ähnlich wertvoller Korrespondenz lag das Vereinsleben der FG. Es sind nur wenige Tagungen von Mitgliedern belegt, die gelegentlich im kleinen Kreis zwischen zehn und 15 Personen stattfanden. Eine Zusammenkunft der gesamten Gesellschaft wäre zur damaligen Zeit unmöglich gewesen. Allein eine Terminabsprache zwischen einigen hundert Personen, die verstreut überall in Deutschland lebten, wäre schwierig gewesen. Die Post war oft wochenlang unterwegs. Zudem waren Reisemöglichkeiten und -bedingungen schlecht.

Von gelegentlichen Besuchen einzelner Personen abgesehen, blieb hauptsächlich der Brief, um sich miteinander auszutauschen. Oft begleitete ein Buch das Schreiben, ein eigenes Werk oder das eines Kollegen, welches der Absender für empfehlenswert hielt. Üblich war es auch, sich zu familiären Ereignissen - Hochzeit, Taufe und Beerdigung - Gelegenheitsgedichte zuzusenden.

Immer wieder gerieten die Sprachgesellschaften für lange Zeit in Vergessenheit, bevor das literaturwissenschaftliche Interesse für sie sporadisch erwachte. Heute ist unbestritten, daß die Fruchtbringende Gesellschaft vor allem das Selbstbewußtsein für das Recht auf eine eigene Sprache forderte, in der nicht ständig und willkürlich einzelne Begriffe durch Fremdworte ersetzt wurden. In diesem Sinne war sie eine offene und liberale Vereinigung, die sich auch - wie die Veröffentlichungen zeigten - für fremde Kulturen interessierte, so daß Mitglieder auch im Ausland zu finden waren. Belegt sind Mitgliedschaften aus Frankreich, Spanien, Italien, Schweden und Schottland.



 



Der Palmbaum, an dem "Alles zu Nutzen. ist, war das Symbol der Fruchtbringenden Gesellschaft, die später aus diesem Grund auch "Palmorden. genannt wurde. (Aus "Im Garten der Palme. , Ausstellungskatalog der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel 1992; mit freundlicher Genehmigung der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek, Weimar.)


Der Barockdichter Martin Opitz war als Bürger-licher ein wichtiges Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft. In der Literaturgeschichte gilt er als "Reformer der Deutschen Sprache. . (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. M. Bircher.)


Sigmund von Birken führte in der Fruchtbringenden Gesellschaft den Namen "Der Erwachsene". Er wurde als Bürgerlicher geboren und erst 1654 vom Kaiser geadelt.