Mit dem Stelzfuß durch die deutsche Geschichte
von Erich Schlenker

Weltläufig war der Hinkende Bote aus Lahr von Anfang an, wenn er auch auf dem holprigen Pfad der deutschen Geschichte ab und zu heftig stolperte. Schon zu Beginn seiner Laufbahn im Jahr 1801 mußten manche Hürden bei Produktion und Vertrieb überwunden werden, von Hindernissen der Obrigkeit ganz abgesehen. Aber schon 1804 konnte der Buchbinder und -drucker Johann Heinrich Geiger, der den "Hinkenden" in die Welt gesetzt hatte, einen Jahreskalender präsentieren, der in Inhalt und Form der damals noch zahlreichen Konkurrenz gleichwertig, wenn nicht überlegen war. Im vierten Jahr seines Erscheinens, von den drei ersten Ausgaben ist bis jetzt leider kein Exemplar aufgetaucht, verfügte der "Lahrer Hinkende Bott" nicht nur über zwölf monatliche Kalenderblätter, sondern auch über zwei Seiten "Astrologische Practica" und eine "Aderlaß-Tafel oder sogenannter Juden-Kalender" (eine Seite). "Zum Nutzen und zur Belehrung des Landmannes", diesen Zielen sollte der Kalender vor allem dienen, waren auf einer Seite die "Messen und Märkte im Breisgau und einem Theil des Schwarzwaldes" aufgelistet. Aus einer "Interesse-Rechnung" ist abzulesen, "was von einem Jahr, Monat und Wochen bezahlt werden muß, wenn man ein Capital zu 4, 5 und 6 pro Cent aufgenommen" hat (eine Seite). Das "Verzeichnis der kaiserlich-, königlich- und fürstlichen Personen dürfte, wie auch die "Bemerkenswerten Todesfälle" von Fürsten und Gelehrten nicht nur die Neugier befriedigt, sondern auch das Wohlwollen der Obrigkeit gefunden haben. Aber auch der "Unterhaltung und Belehrung" der Leserinnen und Leser sowie der "Verminderung des Aberglaubens" bei denselben trug schon der vierte Kalender aus dem Hause Geiger Rechnung. Zu den "Nachrichten aus dem verflossenen Jahr" gehörte ein Bericht mit Zeichnung über den Schinderhannes im Mainzer Gefängnis (seine Hinrichtung am 21. November 1803 erfolgte nach Redaktionsschluß), der Kalender informierte aber auch über einen Hochverräter in London, wütende Hunde in Galizien, strenge Kälte in Warschau und Wien sowie über Feuersbrünste in Rußland. "Selbstmord, Mordbrennereien und andere Mordthaten" zählten damals ebenfalls zu den unverzichtbaren Themen von Druckerzeugnissen, die hohe Auflagen anstrebten, selbst wenn ein pädagogischer Impetus dieser Katastrophen-Berichte, nämlich der Hinweis auf Vergänglichkeit von Mensch und Welt, unterstellt werden darf. Seinen Mitbürgern hielt der erste Kalendermann, der mit dem Herausgeber wohl identisch war, den Trost bereit: "Vollkommen ist nichts auf Erden, aber jeder Mensch kann sich seine Lage, in der er ist, wenigstens erträglich machen." Dieser Satz bezog sich auf die Neugliederung des zerstückelten Deutschland, in dem die jeweiligen Untertanen "mehr oder minder" mit ihren neuen Herren zufrieden waren. Napoleons korrigierender Eingriff in die deutsche Kleinstaaterei bildete denn auch den Schwerpunkt eines vierseitigen Rückblicks in diesem Kalender auf "Geschichten oder Beschreibung der denkwürdigen Begebenheiten, die sich in der letzten Hälfte des 1802ten und der ersten Hälfte des 1803ten Jahres hin und wieder in der Welt, sonderheitlich in Europa, zugetragen haben". Bewußt politisch artikulierte sich der "Lahrer Hinkende Bott", nach dem ersten Jahrzehnt wurde er in "Bote" umbenannt, bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts nicht. Er mahnte in Geschichten und Anekdoten Gottesfurcht und Ehrerbietung vor dem badischen Großherzog an, der immerhin auch die landeseigenen Kalender schützte und die "ausländischen" mit Zensur und Abgaben belegte. Der unterhaltsame Teil des Kalenders wurde ausgebaut, und der Herausgeber, später auch ein Professor C. L. Fecht aus Lahr, begaben sich jahrelang auf Erkundungsreisen durch Baden, über deren Etappen jeweils mit Landkarten ausführlich berichtet wurde. Und regelmäßig schweifte der Blick über den Kirchturm hinaus: über "Weltbegebenheiten", vor allem die zahlreichen Kriege, wurde, bis auf wenige Ausnahmen, immer mit einem bis zu einem halben Jahr Verspätung informiert. Erstmals wurden die "Weltbegebenheiten" 1813 in Dialogform mit einem "Schulmeister Weinhold in Krautheim" aufbereitet. Erstaunlich rasch stieg schon in der Anfangsphase die Auflage des Lahrer Hinkenden Boten an: 1805 wurden 3.000 Kalender gedruckt, für 1806 beantragte Geiger, 20.000 Stück drucken zu dürfen. Zum Erfolg beigetragen hat sicher nicht nur die schnelle Anpassung des Lahrer Boten an Form und Inhalt anderer Kalender, sondern auch die christliche Grundhaltung, auf denen viele Kalendergeschichten basierten und die zumeist behutsame Belehrung der Leserinnen und Leser durch "philosophische", also zumeist christliche Sentenzen. Als Gesprächspartner erfand der Herausgeber 1821 einen "Hans Treumann", mit dem der Lahrer Hinkende Bote "hinterm Ofen Gespräche über Moral, Christentum und die Zeitläufte" führte. Der Disput wurde ein Jahr später in Briefform fortgesetzt. Während die "Weltbegebenheiten" in diesen 20er Jahren aus dem Kalender verschwanden, nahmen Geschichten und Anekdoten mit religiösen Themen zu. Erst 1829 tauchten wieder "Weltbegebenheiten" im Kalender des Lahrer Hinkenden Boten auf. Sie berichteten allerdings nur von Kriegen in Südamerika und Persien sowie über den russisch-türkischen Krieg, enthielten aber kein Wort über die Zustände in Deutschland. Ein Jahr später umfaßten die "Weltbegebenheiten" gar 13 Seiten im Kalender, aber über die deutschen Verhältnisse fand sich wieder keine Zeile. Erst in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts schlugen sich die demokratisch-republikanischen Bestrebungen in Deutschland, die 1832 zum Hambacher Fest als erstem Höhepunkt geführt hatten, auch in den "Weltbegebenheiten" des Kalenders nieder. Mit Genugtuung wurde 1834 registriert, daß nicht nur die "losen Vögel Wirth und Siebenpfeiffer", beides Hauptredner des Hambacher Festes, Siebenpfeiffer stammte aus Lahr, "in ihrem Käfig saßen", sondern auch ein Jahr später ein Aufruhr der Studenten in Frankfurt von preußischen, österreichischen, hessischen und nassauischen Truppen schnell niedergeschlagen werden konnte. Der Lahrer Hinkende Bote wählte also schon zu Beginn der Auseinandersetzungen um eine deutsche Republik den legalistischen Weg: Alle künftige Freiheit, die im Kalender durchaus gefordert wurde, sollte von der Obrigkeit genehmigt werden. Als erste Schritte zur Einheit Deutschlands begrüßte der Lahrer Hinkende Bote 1836 die Bemühungen des "klugen" preußischen Staates um einen Deutschen Zollverein, der 1834 in Kraft getreten war. Danach verschwand mit den Weltbegebenheiten auch die deutsche Politik für einige Jahre aus dem Kalender, der aber dann 1844 und 1845 eine Art politische Bildung übernahm: Er erläuterte zunächst die wichtigsten Ziele der badischen Verfassung und stellte mit dem großen Saal im Karlsruher Ständehaus auch den Sitz der Zweiten Kammer des Landtags vor, der damals gerade über ein neues Strafgesetzbuch beriet. Danach befleißigte sich der Lahrer Hinkende Bote wieder innenpolitischer Abstinenz, aber das Jahr 1848 weckte auch in ihm Hoffnungen auf ein "einiges und einheitliches deutsches Vaterland", die aber dann 1849 in "harten und rauhen Winden" zerstoben. Folgerichtig erkannte 1850 der Hinkende: "Ordnung ist notwendiger als Freiheit." "Eine übersprudelnde, tollköpfige Partei hat das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, und damit zugleich kam eine neue Lehre über den Rhein herüber zu uns, die gar wie ein verzehrender Feuerbrand über die jungen Saaten deutscher Einheit und Freiheit hereinbrach. Ich meine den sogenannten Socialismus und Communismus. Diese Bestrebungen nun haben sich überall, wo in Deutschland im Jahr 1849 Revolutionen ausbrachen, bald eingemischt und sind mit ein Grund, warum die Sache überall ein klägliches Ende erreicht hat", zog der Lahrer Hinkende Bote in einem ausdrücklich "Politischen Rückblick" 1851 das Fazit auf die Revolution 1848/49. Gleichzeitig wurde auch der mißlungene Versuch Preußens beklagt, eine Verfassung für Deutschland durchzusetzen. In den 50er Jahren registrierte der Hinkende dann getreulich die Versuche der "hohen Herren auf den Thronen Deutschlands", sich die Hand zur Versöhnung zu reichen und lobte vor allem die Versuche Preußens, den Zollverein zu erneuern. Während der Lahrer Hinkende Bote auf das Jahr 1859 die Weltbegebenheiten in knapp eineinhalb Seiten abfeierte ("Stände doch jetzt eine deutsche Flotte in der Ost- und Nordsee"), kündigt sich mit dem Kalendermann Albert Bürklin nicht nur eine spektakuläre Aufwärtsentwicklung des Kalenders aus Lahr, sondern auch die Wendung zu einem entschiedenen politischen Standpunkt an. Er beruhte zunächst auf der Sehnsucht nach der deutschen Einheit, danach auf einem unerschütterlichen Vertrauen ins kaiserlisch-bismarckische Reich, gepaart mit einer fast gehässigen Feindschaft gegen alles "Ultramontane". Albert Bürklin hatte als 42jähriger Eisenbahningenieur 1858 den ersten Preis für die beste Erzählung in einem Wettbewerb gewonnen, den der Verlag des Lahrer Hinkenden Boten ausgeschrieben hatte. 1859 wurde die preisgekrönte Erzählung "Die Brüder" veröffentlicht, und wahrscheinlich noch im selben Jahr übernahm Albert Bürklin die Redaktion des Lahrer Hinkenden Boten. Albert Bürklin, ein gebildeter und talentierter Vielschreiber, faßte schnell Tritt. Einmal, was die Auflage betraf: Sie kletterte von rund 60.000 bei der Übernahme innerhalb von zwei Jahren auf 100.000, für das Jahr 1863 wurden schon rund 250.000 Kalender gedruckt. 1868 erreichte die Auflage 500.000 Stück, und auf dem Titelblatt für das Jahr 1873 werden für die süddeutsche Ausgabe 400.000 bis 500.000 Stück genannt, für die norddeutsche 300.000 bis 500.000. Mit der Millionenauflage wird auch auf einem Plakat für den Kalender 1873 geworben. Zum anderen verwandelte sich der Lahrer Hinkende Bote unter dem stramm deutschnationalen Kulturkämpfer Albert Bürklin zu einem konsequent eingesetzten politischen Periodikum. Daß der neue Kalendermann ziemlich genau die Grundstimmung in der Bevölkerung traf, konnte er nicht nur an den steigenden Auflagenzahlen ablesen, sondern auch an intensiven Reaktionen. Feindschaft handelte er sich vor allem aus katholischen Kreisen, später, während und nach der Konsolidierung des Deutschen Reiches, auch aus dem politischen Spektrum des "Centhrums" ein. Schon im Kalender für das Jahr 1863 inszenierte Albert Bürklin "Das Vehmgericht oder des hinkenden Boten Rache - Ein Fastnachtsscherz", in dem er mit dem "Mainzer katholischen Volksblatt", Jahrgang 1860, Nr. 47, abrechnete, das den "Lahrer hinkenden Boten" einen "schlitzbärigen Kalender, ein wiederkauendes Thier mit ungespaltenen Klauen, der die Kirche mit einem förmlichen Saugeschrei lästert und gegen sie viel Unflath wiederkäut", genannt haben soll. Auch die "Pfälzer Zeitung" wurde vor dieses "Vehmgericht" zitiert, denn sie hatte dem Hinkenden Boten in einer Kalenderschau 1862 nicht nur "national-demokratische Tendenzen" vorgeworfen, sondern ihn auch der "Heuchelei und Kriecherei" bezichtigt. Als dritter Angeklagter stand der Dekan "Lichtputz von Dunkelhausen" (hinter dem sich der Lahrer Dekan Förderer verborgen haben dürfte) vor dem Gericht, denn der hatte von der Kanzel herunter verkündet: "Jeder Katholik, der den Lahrer Hinkenden Boten lese, verdiene, daß man ihm fünfundzwanzig aufmesse." Die Wurzeln dieses unermüdlichen Engagements des Lahrer Hinkenden Boten im Kulturkampf sind in seinen Befürchtungen zu suchen, der Papst, seine ultramontanen Bundesgenossen und Teile der katholischen Kirche in Deutschland (der Hinkende unterschied in "gute" Priester und "schlechte" Pfaffen) könnten zu großen Einfluß auf das sich einigende Vaterland gewinnen. Kein Anlaß war dem Hinkenden in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu gering, kein Witz zu schäbig, um Kanzelparagraph (1871), Jesuitengesetz (1872) und deren Auswirkungen zu loben und sein ceterum censeo gebetsmühlenartig zu wiederholen: Rom und die katholische Kirche dürfen in Preußen und Deutschland keinen Einfluß gewinnen. Der konsequente Einsatz Albert Bürklins und damit des Hinkenden Boten für ein einiges Deutsches Reich läßt sich am besten an der Einstellung zu Otto von Bismarck verfolgen. Bei der Berufung Bismarcks zum preußischen Ministerpräsident 1862 ließ der Hinkende kein gutes Haar an diesem "preußischen Junker" (Kalender 1864). Im Konflikt um Schleswig-Holstein verstand der Hinkende 1866 zwar, daß dieser nördlichste Teil Deutschlands lieber preußisch als dänisch werden wollte, aber sympathisch waren ihm weder Preußen noch Bismarck. Ausführlich wird im Kalender 1867 der Deutsche Einigungskrieg beschrieben, aber Bismarcks "Hauptstreich", sein Antrag "auf Bundesreform und Einberufung eines deutschen Parlaments" nahm der Hinkende mit Skepsis auf: "Wenn der Junker Satan selber auf Erden hausieren ginge mit Traktätlein und Rosenkränzen, er könnte kein größeres Erstaunen erregen als Bismarck mit seinem Parlamentspurzelbaum". Im Kalender für 1868 erkannte der Hinkende aber dann an, daß Bismarck im Jahre 1866 (mit dem Norddeutschen Bund) "durch eine Revolution von oben" die Einheit Deutschlands zustande gebracht hatte: "Man braucht kein Anbeter des Erfolges zu sein, um zu begreifen, daß Preußen durch den Erfolg bewiesen hat, daß es allein die Macht und den Willen besitzt, Deutschland groß, einig und stark zu machen, verdanken wir ihm doch jetzt schon den uns bis jetzt unbekannten Hochgenuß, vom Ausland geachtet und - gefürchtet zu werden... Wer uns die Einigkeit, Größe und Macht Deutschlands bringt, der hat uns und wäre es der Gottseibeiuns selber." Diese Stimmlage hielt der Lahrer Hinkende Bote mit manchem Tremolo durch, als sich nach dem Krieg 1870/71 das Deutsche Reich konstituierte. Ausführlich wurden von nun an in den Weltbegebenheiten die Sitzungen des Reichstags protokolliert und kommentiert. Vor allem wurde der außenpolitische Machtzuwachs zur Kenntnis genommen ("Ich bin ein Deutscher, heißt heute so viel als: Ich bin ein Theil des angesehensten und mächtigsten Reiches der Erde"; im Kalender 1875). Als dann die Stadt Lahr 1875 gar den "Durchlauchtigsten Fürsten Bismarck" zu einem Erholungsaufenthalt in ihren Mauern einlud, warf sich auch der Hinkende als "Lahrer Kind" ob "dieses gescheiten Streichs in die Brust". Bis zu seinem Tod 1890 verfolgte Albert Bürklin mit immer gleicher Aufmerksamkeit und Bewunderung die innenpolitische Festigung des Bismarck-Regimes, wenn auch der Kanzler die Sympathie des Hinkenden inzwischen mit dem Kaiser teilen mußte. Innenpolitisch wandte sich der Hinkende nicht mehr nur gegen "Schwarz", sondern mit dem Aufkommen der Sozialdemokratie auch gegen "Rot". Dieser heute noch als Kalendermann imponierende Albert Bürklin wäre allerdings verkürzt dargestellt, wenn nicht noch auf sein soziales Engagement wenigstens kurz hingewiesen würde. Seine Bemühungen um die Finanzierung des ersten Reichswaisenhauses, das in Lahr gebaut werden konnte, wurden ergänzt durch seine Aufgeschlossenheit gegenüber alltäglichen Sorgen der einfachen Bevölkerung und seinen Bemühungen, auch technisches Wissen und landwirtschaftlichen Fortschritt zu vermitteln. Albert Bürklin war im Hauptberuf ein erfolgreicher Eisenbahn-Ingenieur im Dienste des badischen Großherzogs. Auch nach dem Tode Albert Bürklins blieb der Hinkende Bote bei den sich verstärkenden sozialen Auseinandersetzungen seiner nationalliberalen Linie treu. 1891 begrüßte er, daß sich der junge Kaiser Wilhelm II. der "wichtigen Arbeiterfrage" annahm. Er hatte Vertreter anderer europäischer Länder zu einer "Arbeiterschutzkonferenz" eingeladen, in der über "Sonntagsruhe, Kinder- und Frauenarbeit und Bergbau" gesprochen wurde, und der Hinkende war begeistert: "Wie eifrig waren der Kaiser und die Besten der Besitzenden ums Wohl der Armen und Schwachen bemüht! Kurzum, die Mehrzahl der Deutschen hatte Ursache, dankbar, zufrieden und vertrauensvoll zu sein. Allein, das paßte gewissen Parteien nicht." Und der Einzug von 36 SPD-Abgeordneten in den Reichstag nach der Wahl 1890 rief beim Hinkenden die schlimmsten Erwartungen hervor: "So darf's nicht fortgehen, oder die höchsten Güter werden uns entrissen, Religion und Gesittung, Kunst und Wissenschaft, Wohlstand und Bildung, Eigentum und Ehe, persönliche Freiheit und Vaterland." Das Vertrauen in letzteres war aber so groß, daß selbst Bismarcks Rückzug aus der Politik am 1. März 1890 zwar mit einigen lobenden Worten für den "alterprobten Steuermann", aber ohne Bedauern registriert wurde. Neben den Sorgen um die afrikanischen Kolonien (Deutsch-Südwestafrika seit 1884; Kamerun und Togo seit 1895, Deutsch-Ostafrika seit 1895), dort flackerten immer wieder Kämpfe auf, den Klagen um die fehlende Kriegsflotte und den Sticheleien gegen die anderen europäischen Mächte spottete der Hinkende auch zunehmend über den Reichstag, der zu viel "schwatzte" und ineffizient arbeitete. Die Vorbehalte gegen den Parlamentarismus bestärkten natürlich auch das Mißtrauen gegen die Demokratie. Trost brachten Erinnerungen an vorrevolutionäre Zeiten ("Wenn früher die guten Deutschen zusammenkamen, um Politik zu treiben, lebten sie in einem wahren Liebesfrühling. Man schoß, turnte, sang und trank fürs liebe deutsche Vaterland, nannte jeden Schnurrbart deutsches Bruderherz und ließ sich durch die Festrede irgend eines Professors derart erweichen, daß einem die Männerzähren stromweise in den Bart rollten", 1895) und an die Hoch-Zeit nationaler Macht bei der Kaiserkrönung 1871: "Ein Reich, ein Volk, ein Gott" (1897). Symptomatisch auch, daß der Hinkende seinen Wunsch zur Jahrhundertwende: "Der Krieg gehört abgeschafft" mit dem Zusatz kommentierte: "Dazu ist nichts so nötig als eine starke Armee" - die deutsche wurde gerade um 70.000 Soldaten vergrößert. Daß das neue Jahrhundert nicht gar so friedlich begann, bedauerte der Hinkende zwar, aber die Kämpfe deutscher Soldaten in den Kolonien und beim Boxeraufstand in China waren notwendig: die aufstrebende Weltmacht Deutschland konnte sich nichts gefallen lassen. Innenpolitisch wurde es unruhiger, denn "schwarz und rot ist der Reichstag gefärbt" - nach der Wahl 1903. "Welch ein Bild!" jammerte der Hinkende in einem Nachtrag zu den Weltbegebenheiten 1904, "alle wichtigen Parteien haben verloren. Dagegen sind die Sozialdemokraten von 56 auf 81 Abgeordnete gestiegen", die nun "zusammen mit den 100 Ultramontanen den Ausschlag geben" können. Diese innenpolitische Konstellation stürzte den Hinkenden in einen tiefen Zwiespalt, denn je mehr "Sozzen" im Reichstag, desto mehr flüchtete die Reichsregierung in die "liebevoll geöffneten Arme der Jesuiten. Die Ultramontanen sind schlau, sie sind reich, sie sind mächtig, sind gefürchtet. Sie können im deutschen Reich machen, was sie wollen" (1905). Und auch außenpolitisch lief nicht alles nach Wunsch, so daß der Hinkende appellierte, "Deutsche, haltet das Pulver trocken, das Schwert geschliffen". Nach den Reichstagswahlen 1907, aus denen SPD und Zentrum geschwächt hervorgingen, frohlockte der Hinkende: "Der Ansturm Roms und der Gasse war abgeschlagen" (1908), aber in den "Junkern und Gutsbesitzern in Preußen" hatte er 1910 neue Gegner entdeckt, 1911 sogar neue Bundesgenossen: die SPD hatte im Berliner Tiergarten für ein allgemeines, direktes und freies Wahlrecht demonstriert. In den letzten vier Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges gab sich der Hinkende Bote außenpolitisch auffallend enthaltsam, während sich nach Innen seine nationalliberale Position verfestigt: Er tritt für den "freiheitlichen Ausbau unseres Staatswesens und unserer öffentlichen Einrichtungen" ein und "bleibt bis zum letzten Blutstropfen gut vaterländisch gesinnt" (1913). Obwohl 1912 die SPD die stärkste Fraktion im Reichstag stellte, hieß es in den Weltbegebenheiten 1913 optimistisch: "Der Hinkende blickt ohne ernste Sorge in die Zukunft". Diese Fehldiagnose konnte der Hinkende erst im Kalender auf das Jahr 1916 korrigieren, denn die Weltbegebenheiten für den Kalender 1915 hatte der Kalendermann schon am 15. Juni 1914 abgeschlossen, der Erste Weltkrieg brach Ende Juli/Anfang August 1914 aus. So berichtete der Hinkende 1915 nur, daß "wir doch rings von neidischen und sauersehenden Augen umgeben waren". Alles, was er im Kalender 1915 zum Thema Krieg verpaßt hatte, holte der Hinkende im Kalender für das Jahr 1916 in den Weltbegebenheiten und in der Standrede "Vom Feldzug der Daheimgebliebenen" nach. Das Vaterländische brach sich Bahn: "Kaiser Wilhelm II. auf dem Söller seines Schlosses: Ich kenne keine Parteien mehr und keine Konfessionen. Wir sind heute allesamt nur deutsche Brüder" -, dann Lob den Sozialdemokraten für die Zustimmung zu fünf Milliarden Kriegsausgaben: "Nein, wir lassen das Vaterland, das schwerbedrohte nicht im Stich!" bei diesem "aufgezwungenen Waffengang". In der Standrede überwiegen Durchhalteparolen beim "Ernährungsfeldzug" und pathetische Sprüche: "Indem er tausende dahinmäht in einer Stunde, mahnt er (der Krieg, d. Verf.) die Menschenkreatur, ihr bißchen Dasein nicht wichtiger zu achten als die ewigen Gesetze des Werdens und Vergehens. So ist der Krieg ein großer Bildner der Menschennatur." Diese Trennung, über den Verlauf des Krieges in den Weltbegebenheiten zu berichten und in der Standrede die "Heimatfront" zu stärken ("Jede Ähre, wir wissen es, ist unser Mitkämpfer im Aushungerungskrieg") wurde auch 1917 und 1918 durchgehalten, aber das Pathos schwand dahin und machte sogar widerwilliger Bewunderung der Kriegsgegner Platz: "Man muß es den Briten und Franzosen lassen: sie verfolgen ihre Hauptabsicht mit einer Zähigkeit, die wir bewundern müßten, wär' ihre Kriegsführung nicht eine solche von Wilden" (1918). Der Kalender für das Jahr 1919 konnte wegen der Nachkriegswirren nicht erscheinen, aber 1920 hatte der Hinkende seine Sprache wiedergefunden. Für seine "Standreden an die Deutschen, drei statt einer", lieh er sich zunächst einmal Stimmen aus der Vergangenheit: "Von Freiheit und Vaterland" (1812) von Ernst Moritz Arndt, "Der einzelne und sein Volk" (1818) von Johann Gottlieb Fichte und "Von der Muttersprache" von Ernst Moritz Arndt. Nicht ohne Hintergedanken wird aus Fichtes "Reden an die deutsche Nation" zitiert: "…aber diese Dauer verspricht ihm (dem edlen Mensch, d. Verf.) allein die selbständige Fortdauer einer Nation; um diese zu retten, muß er sogar sterben wollen, damit diese lebe und er in ihr lebe das einzige Leben, das er von je gemocht hat." Die Urteile in diesem Kalender über den Versailler Vertrag, abgeschlossen am 28. Juni 1919, sind eindeutig: "Unannehmbar, eine nie dagewesene Demütigung", die Bedingungen waren "ungeheuer hart", und die Ursache der Niederlage war schnell ausgemacht: "Eine höhere Macht, der wir nicht mehr den Mut zum Allerletzten entgegengestellt, hatte der Deutschen Kraft zerbrochen, nun zerbrach sie eine Würde, die wir mit Bismarcks großer Hinterlassenschaft unlösbar verbunden glaubten." 1921 klagte er: "Die Siegermächte haben nicht genug daran, daß wir am Boden liegen. Sie treiben ihren Schimpf mit uns, und wir müssen wehrlos und ohnmächtig dieses Spiel des Hasses und des Übermuts dulden." Der Hinkende verurteilte zwar die Morde an Erzberger (1921) und Rathenau (1922) durch Offiziere der nationalen Rechten, aber im Kalender fehlte sowohl jeder Ansatz einer politischen Aufarbeitung des Weltkriegs und seiner Folgen als auch der Versuch, sich mit der jungen Demokratie zu identifizieren. Der Hinkende kommt vom vaterländischen Pathos nicht los: "Das ist der Glaube, daß die Not das deutsche Volk zusammenschmieden wird, und die Hoffnung, daß im deutschen Herzen noch die Kraft liegt, die nicht gebrochen werden kann, auch wenn die tiefste Dunkelheit über uns hereinsinkt." Der Weg war vorgezeichnet, der den Hinkenden schließlich zum Nationalsozialismus führte. Für die soziale Not brachte der Hinkende Verständnis auf: Er verurteilte "Neureiche, die schwelgen und prassen" (1924); er verwies auf die negativen Folgen der beginnenden Inflation und die vergeblichen Versuche der Weimarer Republik um politische Kontinuität. Er kritisiert die rheinischen Separatisten ebenso wie die Versuche Frankreichs, das Rheinland und das Ruhrgebiet noch stärker zu kontrollieren. Die Erschießung Albert Leo Schlageters, Freikorpskämpfer und badischer Landsmann des Hinkenden, nach Sabotageakten im Ruhrgebiet durch die Franzosen war dem Hinkenden ein "Blutopfer auf dem Kreuzweg Deutschlands" (1924). In den Weltbegebenheiten 1925, in denen auch über den Putsch Adolf Hitlers am 23. November 1923 in München berichtet wurde, fand sich dann das Geständnis: "Der Hinkende kann nur mit tiefer Trauer davon erzählen. Denn er hat den jungen Feuerkopf Hitler in sein Herz geschlossen, weil er aus dessen glühender Seele die leidenschaftliche Liebe zum Deutschtum und die begeisterte Jünglingshoffnung (Hitler war damals 34 Jahre alt, d. Verf.) auf einen nahen deutschen Freiheitsmorgen gelesen hat." Akribisch notierte der Hinkende in diesen 20er Jahren in den Weltbegebenheiten, die sich bis 1926 ausschließlich mit Deutschland und den früheren Kriegsgegnern befaßten, Klagen über hohe Reparationen, Unruhen in der jungen Weimarer Republik ("Tränen des Zorns über dies unselige Deutschland mit seinen Partei Klüngeln" (1927), die zunehmende Inflation und Verschuldung des Staates, die bittere Not der Bevölkerung und soziale Ungerechtigkeiten ("Warum sollen ein paar hundert Leute sich Millionenvermögen erwerben mit Hilfe dieser Riesenzinsen, während das ganze Volk am Hungertuch nagt", 1927). Über die Angst der Franzosen vor Deutschland wunderte sich der Hinkende 1927: "Als ob der Wolf sich fürchten müsse vor dem Lamm", und er freute sich auch über Versuche zur Versöhnung mit Frankreich. Aber nur wenige Zeilen später trumpft er aufgrund des Rückversicherungsvertrags, den Deutschland mit Rußland abgeschlossen hatte, schon wieder auf: "Aber eins ist den Franzosen doch aufgegangen: Deutschland ist und bleibt trotz der Entwaffnung eine Großmacht, mit der man rechnen muß." Nach seiner Liebeserklärung an Hitler muß das Verhältnis des Hinkenden zu den Nationalsozialisten wieder etwas abgekühlt sein, denn sie, "die man auch Hitlerleute nennt" (1929), nimmt er gerade mal bei Wahlen zur Kenntnis. Dafür begrüßt er den Bau eines Panzerkreuzers mit SPD-Zustimmung und findet martialische Töne: "Schließlich sollte man in Deutschland endlich lernen, daß man nicht mit allerlei gescheiten Gedanken die Welt regiert, sondern mit Macht" (1930). Als aber dann die NSDAP bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 "weit über ihre kühnsten Erwartungen hinaus" (Weltbegebenheiten 1932) 107 Sitze eroberten, erkannte der Hinkende "den Riesenerfolg der Nationalsozialisten als Barometer für die neue Welt, die in Deutschland emporstieg". Es blieb dem Hinkenden "freilich vorerst noch dunkel, wie dieser Widerstand (gegen die Besatzungsmächte, d. Verf.) in der praktischen politischen Tätigkeit sich auswirken werde - aber man hörte über den ganzen Erdball weg vornehmlich den Aufschrei Deutschlands: Wir sind es satt, der Spielball der Launen der anderen zu heißen". Ein Jahr später, im Kalender auf das Jahr 1933 (Redaktionsschluß Ende Juni 1932) lobt der Hinkende angesichts hoher Arbeitslosigkeit und sozialer Mißstände Hitler und die NSDAP: "Der Zusammenschluß aller wahrhaft Deutschgesinnten ist sein Ziel. Und im Dienst des Vaterlands muß ein jeder Zucht und Ordnung lernen. Keiner hat das Recht, an sich zu denken. Volksnutz vor Eigennutz! Das ist ein gutes Losungswort." Bei dieser Übereinstimmung mußte der Lahrer Hinkende Bote nach der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 nicht mehr "gleichgeschaltet" werden wie andere Druckerzeugnisse in Deutschland. "So fröhlich wie diesmal hat der Hinkende schon viele Jahre nicht mehr seinen Lesern von den Weltbegebenheiten erzählt", begann er seine Betrachtungen im Jahr 1934, in denen schon viele Stichworte der künftigen Diktatur fallen: Großreinemachen, Schutzhaft, Arbeitslager, Verbot von Parteien und Zeitungen, Bücherverbrennung, Judengesetze. Der Hinkende erkannte richtig: "Der Gedanke Hitlers: Der totale Staat." Auch 1935 stimmte der Hinkende dieser Entwicklung und ihren Konsequenzen zu: Verbot der Gewerkschaften, Zensur für Presse, Film, Kunst und Dichtung, Sicherheitsverwahrung für Verbrecher und: "Minderwertige werden unfruchtbar gemacht." Ohne Vorbehalte gab sich der Hinkende seiner Freude über "nationale Einheit", "soziale Erfolge" und die zunehmende außenpolitische Macht hin. Die Rückkehr des Saargebiets nach einer Volksabstimmung am 19. August 1934 nannte der Hinkende "einen Morgengruß des neu erstandenen Deutschlands" (1936), und im selben Jahr konstatierte er nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht am 16. März 1935: "Selten hat eine Regierungsbotschaft einen solchen Jubel in einem Volk hervorgerufen." Auch den Friedensbeteuerungen Hitlers glaubte der Hinkende und spottete über viele Staatsmänner im Ausland, die vor "der deutschen Gefahr orakeln". Als dann schließlich nach dem Einmarsch am 12. März 1938 Österreich Deutschland "angegliedert" wurde, jubelte der Hinkende: "Die uralte Sehnsucht hat sich erfüllt: das Großdeutsche Reich wurde Wirklichkeit!" Trotz dieser politischen Entwicklung war der Lahrer Hinkende Bote bis zu Beginn der Nazi-Herrschaft nie antisemitisch. Es finden sich in den vorliegenden Bänden vielleicht ein halbes Dutzend Witze oder Geschichten über und mit Juden, also weit weniger als über Beamte, Bauern und Politiker. Nie wurde gegen Juden gehetzt, kaum einmal ein antisemitisches Klischee verwendet. Und auch in den Jahren nach 1933 übernahm der Hinkende nicht den Nazi-Jargon gegen Juden. Erst 1938 war in den Weltbegebenheiten von der "gewissenlosen jüdischen Weltpres- se" zu lesen. Von da an fehlten auch nur selten, während des Krieges nie, die Hinweise auf die "jüdischen Hintermänner". Die Identifikation des Kalenders mit dem Nationalsozialismus wurde nicht nur bei der Rekapitulation von Weltbegebenheiten deutlich, sondern auch die Themen der Standreden änderten sich: "Von den Gesetzen der Vererbung" (1934), "Vom Eigentum, vom Erben und vom Erbhofgesetz" (1935), "Über das Leben unserer ältesten Vorfahren nach Funden, Ausgrabungen und geschichtlichen Überlieferungen" (1936), "Zum Vierjahresplan" (1938), "Über den Bolschewismus" (1939), "Über die Kolonialfrage" (1940), "Über den deutschen Sozialismus" (1941), "Über die Grundlagen der deutschen Währung" (1942) und "Über das neue Europa" (1943). Darüber hinaus mußten in dieser Periode unterhaltende und ten- denzfreie Kalendergeschichten der Nazipropaganda und Kriegsberichterstattung weichen. Bis zum Kriegsende (die Jahrgänge 1944 und 1945 fehlen, weil aus bis jetzt nicht bekannten Gründen ein Verbot der NSDAP vorgelegen haben soll), blieb der Hinkende Bote wie "Hitlerjungen beim Ernteeinsatz und die Soldaten an der Front das Glied einer Familie, Zweig eines großen Baums" (1943). Nach einer sechsseitigen Beschreibung aller Kriegsschauplätze vom Sommer 1942 zog der Hinkende im Kalender 1943 eine positive Bilanz: "Die fest geschlossene Einheit, die unbedingte Zuversicht des Volks auf den Endsieg, sein fanatischer Glaube an den Führer konnten durch nichts erschüttert werden." Die Standrede des Hinkenden Boten 1946, "Weltbegebenheiten" fehlen bis 1950, war dem "Zusammenbruch Deutschlands als Folge des Hitler-Systems" vorbehalten und führte von der Frage, ob die Alliierten, die Deutschland besetzt hielten, nun als Feinde oder Befreier gekommen seien, zu der doch etwas über- raschenden Erkenntnis: "'Nationalsozialismus' ist ein Fremdwort, das dem Deutschen nie geläufig über die Zunge ging und das wie viele solcher gemachten Wörter von vornherein einen Beigeschmack von Unklarheit und Schwindel hatte. Schon in dem Namen dieser angeblichen Weltanschauung steckt eine offensichtliche Lüge, denn der Nationalsozialismus war weder national noch sozialistisch, er benützte diese Worte aber als Aushängeschild für seinen ganzen politischen Betrieb." Auf zehn Seiten rechnete der Hinkende dann mit Hitler und seinem Gefolge ab, verurteilte "die Maßlosigkeit in der Einschätzung des eigenen Volkes", erkannte, daß "das deutsche Volk zum größten Teil als eine Rassenmischung angesehen werden muß" und daß "wir alle, auch die daran Unschuldigen, Sühne dafür leisten müssen


 



Jahrzehntelang schilderte der Lahrer Hinkende Bote unter dieser Vignette in den Kalendern rückblickend die Weltbegebenheiten.


Bis Mitte des 19. Jahrhunderts sparte der Hinkende Bote in den Weltbegebenheiten die Politik in Deutschland mehr oder weniger aus. Dafür war in den 50er Jahren dem Krimkrieg (1853 - 1856) viel Platz eingeräumt: Bis ins Detail wurde die Erstürmung des Malakoff durch französische und britische Truppen beschrieben (1857).


Schon 1863 hatte der Kalendermacher Albert Bürklin durch sein Engagement im Kulturkampf so viel Widerstand provoziert, daß er ein "Vehmgericht" einberief (1863).


Vor das Gericht zitiert wurde das katholische Volksblatt Mainz und die Pfälzer Zeitung (1863).


Die Skepsis gegenüber den Parlamenten: "Wie der Bundestag sich wieder in seine gewohnte Tätigkeit wirft " (1864).


Als sich Preußen im Deutschen Krieg 1866 die Vorherrschaft in Deutschland gegen Österreich erkämpfte, standen die süddeutschen Truppen auf Seiten des Verlierers, und im Gefecht bei Hundheim am 22. Juli 1866 floß "das erste badische Blut" (1867).


Noch kein Freund Bismarcks war der Hinkende Bote, als jener Preußens Ministerpräsident war (1867).


Die "wunderbaren und merkwürdigen Dinge", die 1866 in Deutschland passierten, weckten im Lahrer Hinkenden Boten die Hoffnung auf ein einiges deutsches Reich, so daß er für die Weltbegebenheiten auf eine Zeichnung aus dem Jahr 1815 zurückgriff (1867).


Die Villa Jamm im Lahrer Stadtpark. Dieses Domizil bot der Lahrer Gemeinderat Reichskanzler Otto von Bismarck zu einem Erholungsurlaub an. Dieser bedankte sich für die Einladung, lehnte aber ab (1876).


1873 betrug die Auflage des Lahrer Hinkenden Boten rund eine Million Exemplare. 200 000 bis 300 000 Kalender, so vermutete der Kalendermann, wurden gekauft, weil der Hinkende "von der Kanzel herab verflucht" wurde (1873).


So war Bismarck dem Hinkenden schon sympathischer: "Mit der Streitaxt im Kampf gegen die Ultramontanen" (1873).


Der Hinkende Bote 1867 bei der Krupp'schen Riesenkanone auf der Pariser Weltausstellung (1868).


Beim 89. Geburtstag von Kaiser Wilhelm I. am 22. März 1886: "Angesichts der glänzenden Versammlung umarmte der Kaiser seinen Kanzler und küßte ihn auf beide Wangen" (1887).


Einwände gegen die "Roten": "Bebel wurde von Richter (Eugen Richter, Mitglied des Reichstags, Freisinnige Partei, Haushaltsexperte) aufgefordert, den Zukunftsstaat auszumalen, wußte aber nichts" (1894).


Auch der badische Landtag fand keine Gnade: Er "arbeitet mit der Geschwindigkeit eines Blitzzuges" (1889).


Keine Gnade für Feministinnen: "Eine große stürmische Frauenwahlrechtsversammlung wurde dadurch gesprengt, daß ein grüner Student eine Maus in den Saal laufen ließ" (1909).


Bayerische Sonderwünsche: "Im Reichstag verteidigte der Bayerische Löwe den Maßkrug" (1911).


Kritik an den Liberalen: "Jedesmal, wenn die Jacke fertig ist, ist sie den Liberalen zu eng" (1911).


Hat er die Seiten gewechselt: "Seht! der Hinkende hat seinen Dreispitz mit der Ballonmütze vertauscht" (1913).


Der Appetit ist ihm noch nicht vergangen: "Wie der Hinkende zur Morgensuppe ein Dutzend Nönnlein verzehrt" (1915).


Der bekannte Spruch bei Ausbruch des Ersten Weilkriegs (1916).


Noch war der Hinkende optimistisch: "Wie weiland St. Georg erwehrte sich der deutsche Michel eines vielköpfigen Lindwurms" (1918).


Der Jammer war groß: "Die Entente dreht den Kelterbaum, um dem deutschen Michel das letzte Blutströpflein abzupressen - bis nichts mehr herauskommt" (1922).


Die Inflation als Naturkatastrophe: "Die unselige Germania droht unter der Sintflut von Papiergeld unterzugehen" (1925).


Die Not vor Augen: "Der Hinkende hat mit blutendem Herzen das Elend der Arbeitslosen gesehen" (1930).


Endlich wieder aufgenommen: "Die Deutschen unter Führung Stresemanns zogen feierlich in den Sitzungssaal des Völkerbunds ein" (1932).


Kritische Unterstützung der Bundesrepublik: "Lockerungsübungen zum Wahljahr 1965" (1965).


Über den Umgang mit der Vergangenheit: "Besonnene Gelassenheit am nationalen Gedenktag" (1966).


Gefährliche Fahrt: "Gott mit uns" (1978).


Auf neuem Kurs: "Wacker voran für Europa" (1980).


Eine repräsentative Strecke: "Im Spiegel-Trophäen-Kabinett" (1989).