Eine Runde Sache
Das Nördlinger Ries
von Lissi und Fritz Sturm

Nördlinger Ries? Ach ja, da ist doch der Meteoritenkrater. War mal aktuell bei der Vorbereitung zur Mondlandung. Doch das rätselhafte Ries hat von seiner Einmaligkeit nichts eingebüßt.

Vor etwa 14,8 Millionen Jahren stürzte ein Meteorit von 1200 Metern Durchmesser auf die Schwäbische Alb. Tonnenschwere Gesteinsbrocken aus weißem Jura flogen kilometerweit aus dem Krater, mit einer riesigen Gas- und Glutwolke schossen kleine Glastropfen in den Himmel und gingen weit entfernt auf der Erde nieder. So werden diese Kügelchen "Moldaviten. heute noch in Böhmen und Mähren gefunden. Im Krater selbst verschmolz das Urgestein durch die ungeheure Hitzeentwicklung bei der Explosion zu einem besonderen, dem Mondgestein ähnlichen Material, dem Suevit. Den Namen erhielt es von den "Sueven. , einem alemannischen Volksstamm, der dort ansässig war.

Allmählich füllte sich der Krater mit Wasser zu einem See, zwei Drittel so groß wie der Bodensee. Im Laufe von weiteren Jahrmillionen verlandete er, das fruchtbare Ries war entstanden.

Wann der Mensch erstmals im Ries aufgetaucht ist, weiß niemand genau zu sagen. Funde deuten auf sein Erscheinen schon vor der ersten Eiszeit, also vor gut 100.000 Jahren hin. Ein rauher und widerstandsfähiger Bursche muß es gewesen sein, denn die Klimaverhältnisse waren alles andere als menschenfreundlich. Wenig Vegetation - der fruchtbare Lößboden hat sich erst nach der Eiszeit abgesetzt -, kaum Schutz vor Wind und Wetter, schwer zu jagende und gar nicht ungefährliche Weggenossen wie Bär und Mammut.

Erst von 12.000 v. Chr. an gaben Wälder genügend Windschutz und Nahrung, versteckte Höhlen boten sichere Unterkunft. Reiche Funde aus verschiedensten Zeitepochen berichten davon, am bekanntesten sind die Schädelfunde in der Ofnethöhle bei Nördlingen. Von der Altsteinzeit an war das Ries durchgehend besiedelt. Es kamen Kelten, Römer, danach die Alemannen.

Nicht nur die vielen Museen im Ries zeigen die Vielfalt der Geschichte, auch die alten steinernen Zeugen und vor allem das reiche Brauchtum, das sich in den vielen Festen erhalten hat. Zu sehen und zu erleben gibt es genug rund um das "Rätselries. .

Zum Ipf, dem 668 Meter hohen Zeugenberg bei Bopfingen, ist es nur ein kurzer Anstieg, aber er zwingt zum Durchatmen und Entspannen. Weniger

entspannt muß wohl Friedrich II., König von Württemberg anno 1811, von hier oben auf den bayrischen Teil der fruchtbaren Rieslandschaft geschaut haben, als er sich grollend an seine Gefolgsleute richtete: "Wenn meine Minister nicht solche Esel wären, würde das da drüben auch zu uns gehören..

Die Jugend, ob württembergisch oder bayrisch, liebt ihren Venusberg, weiße Steinchen als Namen und Botschaften ins grüne Moos gelegt, erzählen davon. Das nahezu kreisrunde Gipfelplateau (im Ries ist fast alles nahezu kreisrund) von rund 200 Metern Durchmesser war schon viele Jahrtausende Zeuge menschlicher Kultur. Die Ringwälle, die wir beim Aufstieg durchqueren, stammen aus prähistorischen Tagen. In der Hallstattzeit (600 - 400 v. Chr.) hatte ein Fürstensitz die Kuppe beherrscht.

Nicht ganz so hoch, aber genauso aussichtsreich ist Nördlingens Daniel. 350 Treppenstufen sind im 90 Meter hohen Glockenturm der Sankt-Georgs-Kirche zu erklimmen. Er ist ganz und gar aus Suevit, dem Mondgestein, erbaut, deshalb einmalig auf der Welt. Bei schönem Wetter könnte man rund 100 Riesdörfer von hier oben zählen. Wir haben's nicht geschafft, aber die Aussicht über das Ries und der Blick von oben auf das alte Nördlingen und seine 2,7 Kilometer lange, fast kreisrunde Stadtmauer haben den Aufstieg gelohnt.

Vor mehr als 1200 Jahren ist Nördlingen beurkundet und seit 1215 Reichsstadt. Händler drängten schon im 13. Jahrhundert von allen Himmelsrichtungen in das Messekaufhaus, dem heutigen Rathaus. Die Zünfte der Gerber, Färber und Lodweber arbeiteten in eigenen Stadtvierteln.

Mittelalter zum Anfassen vermittelt der Rundgang auf der Stadtmauer. Kleine Häuschen zusammengeduckt, dazwischen Gärtchen, Bäume und Sträucher: Malerwinkel. Pittoresk die "Kasarmen. an die Stadtmauer gelehnt. Einstmals Soldatenunterkünfte, sind es heute billige gemütliche Wohnungen. Tief verhaftet mit seiner Geschichte ist Nördlingen auch heute noch. Viele Stadtfeste, die zum Teil bis ins heidnische Zeitalter zurückreichen, werden jedes Jahr von der Bevölkerung gefeiert.

Wenn es keine Radfahrer gäbe, für das Ries müßten sie geschaffen werden. Radwege ins liebliche Altmühltal, Radwege in die Fränkische Seenplatte, natürlich entlang der romantischen Straße und die vielen kleinen Straßen und Wege kreuz und quer durch das Ries.

Das Nördlinger Ries ist Bauernland. Kilometer um Kilometer radeln wir durch Felder, Wiesen und Auen. Die roten Dächer der Dörfchen heben sich wie Farbtupfer aus dem saftigen Grün und Gelb der Landschaft. Kurz vor Oettingen stoßen wir auf die Wörnitz, die fischreiche Wasserader des Ries. Ein Sägewerk, das noch aus alten Tagen an der Wörnitz steht, wird zu einem kleinen Teil auch heute noch von Wasserkraft getrieben. "Obwohl dieser Teil des Sägewerks dem heutigen Tempo nicht genügt, ich möchte ihn aus Tradition erhalten. , erzählt uns der betagte Besitzer bei der Besichtigung.

Auf Schloß Oettingen ist die Fahne gehißt, das bedeutet: Der Fürst ist da. Günstig an der Wörnitz gelegen, gab es hier schon im 6. Jahrhundert eine alemannische Siedlung. Später, um 1140, entstand eine Burg, und bereits 1393 erhielt die Stadt Oettingen das Münzrecht. Die Oettinger wurden im Mittelalter als treue Gefolgsleute der staufischen Kaiser ein bedeutendes Fürstengeschlecht mit verwandtschaftlichen Beziehungen zu vielen europäischen Fürstenhöfen. Auch die Großmutter Maria Theresias war eine Oettinger Prinzessin. Der kunstsinnige Kraft Ernst von Oettingen wandte sich der Musikwelt zu. Mozart, Haydn und auch Beethoven weilten auf seinen Besitzungen zu Gast.

Das Neue Schloß, das zwischen 1679 und 1687 gebaut wurde, ist bis heute mit seiner prächtigen Innendekoration aus prunkvollen Stuckarbeiten und Deckengemälden erhalten und der Öffentlichkeit bei den Oettinger Schloßkonzerten zugänglich.

Eine wertvolle Kunstsammlung des Fürsten Oettingen-Wallerstein ist im Schloß Harburg ausgestellt. Von dem schroff abfallenden Fels bewachte die Harburg über Jahrhunderte hinweg den südöstlichen Zugang zum Ries.

Die fürstliche Porzellan-Sammlung kann der Besucher im Schloß zu Wallerstein besichtigen. Die zauberhafte Marktgemeinde Wallerstein, der es trotz ihrer geschichtlichen Bedeutung nie gelang, Stadtrechte zu erringen, ist nicht nur wegen des Schlosses und der Dreifaltigkeitssäule bekannt, hier erhebt sich der einzige Felsen aus dem großen Rieskrater. Heute weiß man, daß dieser Felsen aus Kalkabscheidungen förmlich aus dem Ries-See emporgewachsen ist. Funde von Landtieren im Kalkstein beweisen, daß er den See zeitweise sogar überragt hat. Bereits 1188 war auf diesem praktischen Aussichtsfelsen eine Burg entstanden. Sie gehörte Kaiser Friedrich I. Barbarossa und kam im Jahr 1261 an die Grafen von Oettingen.

Heute ist ihr Name vor allem durch das Fürstliche Oettinger Bier bekannt, und das genießen wir beim "Raab. in Oettingen. Alles was Rad hat, trifft sich im Biergarten unter den alten Bäumen des traditionsreichen Familienunternehmens. Schon der Jüngste auf noch nicht ganz sicheren Beinchen serviert mit Stolz frische Brezeln auf einem Tablett. Die Stimmung ist großartig. Wie kann es auch anders sein, bei knusprigem Schweinernen, Bratkartoffeln und Salat für weniger als zehn Mark.

Und da wir mit den Einheimischen am Tisch sitzen, erfahren wir auch von ei-ner Kuriosität dieser fürstlichen Stadt. Durch Erbteilung im 15. Jahrhundert fiel eine Hälfte der Stadt und damit auch eine Hälfte der Schloßstraße zu Oettingen-Oettingen, die andere zu Oettingen-Wallerstein. Da aber nun die Oettinger protestantisch wurden, die Wallersteiner aber katholisch blieben, war auch die Schloßstraße in Konfessionen getrennt. Diese Einmaligkeit dokumentieren noch heute die Baustile. Die "evangelische. Seite zeigt sich in schlichtem Fachwerk, während die "katholische. sich in prunkvoller Barockfassade präsentiert.

Auf dem Wege nach Wemding führen uns sechs Andachtsteine am Wegrand zur Wallfahrtskirche. "Maria Brünnlein zum Trost. . Sie ist bereits 350 Jahre alt und nach Altötting der am meisten besuchte Wallfahrtsort.

Eine weitere Kuriosität im Ries ist die Stadtkirche von Wemding. Sie hat zwei Türme, wovon einer der Stadt und einer der Kirche gehört. Kein Wunder, daß die Spitzen ein wenig auseinanderdriften.

Wir geraten mitten hinein in eines der vielen Brauchtumsfeste im Ries. 1200 Jahre besteht die Gemeinde Wemding, und die Bevölkerung spielt mit Begeisterung ihre Geschichte. Kein Wemdinger ohne historischen Habitus. Wachen mit Hellebarden schützen die Stadttore, am Nördlinger Tor wird die Belagerung durch die Franzosen nachgespielt. Beschwingt und heiter präsentiert sich das Biedermeier durch eine Wemdinger Bürgergruppe. Mitten auf dem Marktplatz hilft der Stadtschreiber für einen Taler dem Schreibunkundigen, die im Mittelalter in der Mehrzahl waren.

Aber auch den düsteren Tagen der Hexenverbrennungen wird mit einer besonderen Aufführung gedacht. 49 Frauen und Männer waren als Hexen oder Teufelsbesessene gefoltert und verbrannt worden. Drei hölzerne Kreuze auf dem Galgenberg erinnern daran.

Die reiche Geschichte dieses Landstrichs hat sich im Brauchtum erhalten. Volksfeste historischen Ursprungs werden im Ries das ganze Jahr über in den verschiedenen Orten gefeiert, angefangen vom Nördlinger Stabenfest im Mai, das heidnischen Ursprungs ist, bis zu den Bopfinger Heimattagen im Oktober. Oft wird der heutigen Generation mangelnde Identifikation mit Land und Kultur vorgehalten, das Gegenteil beweist die Bevölkerung im Ries überzeugend jedes Jahr neu.



 



Einen weiten Blick über die Stadt und das Ries bietet sich vom Glockenturm der St. Georgskirche in Nördlingen.


Nördlingens Wahrzeichen: Der "Daniel. .


Einen Spaziergang im Mittelalter ermöglicht die nahezu drei Kilometer lange Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert in Nördlingen.


Das Schloß Harburg, erstmals erwähnt 1093, bewachte jahrhundertelang den südöstlichen Zugang zum Ries.


Bei der 1200-Jahrfeier in Wemding spielte die Bevölkerung begeistert die Geschichte der Stadt nach.


Bereits 1393 erhielt die Residenzstadt Oettingen das Münzrecht verliehen.


Bereits Zur 350 Jahre alten Wallfahrtskirche „Maria Brünnlein zum Trost“ führen sechs Andachtssteine.