Der Mensch sieht rot
Moderne Luftbildfotografie im regionalen Bereich
von Reiner Herrmann

Ob es heuer in der Ukraine eine gute Weizenernte geben wird, wie weit die Zerstörung des tropischen Regenwaldes schon vorangeschritten ist oder sich die Sahel-Zone weiter auszubreiten droht, zu diesen und anderen lebenswichtigen Fragen liefert die Fernerkundung weltumspannende Informationen. Aufklärungssatelliten, Flugzeuge, langbrennweitige und hochauflösende Kameraobjektive sowie moderne Übertragungsmethoden und besondere Aufbereitungstechniken verleihen Luftbildern heutzutage eine enorme Aktualität und Aussagekraft.

In Verbindung mit Spezialfirmen, die für den Spektralbereich des sichtbaren Lichts sowie des angrenzenden nahen Infrarot-Bereichs sensibilisiert sind, können diese Luftbilder auf ihre jeweilige Zweckbestimmung hin optimiert werden. Weit über die normale Fotografie, das optische Bild, hinausgehend, reichen moderne Zukunftstechniken, mit denen sich über sogenannte CCD-Bildwandler (Charge-Coupled-Devise) Aufnahmen in elektrische, in digitaler Form gespeicherte Signale, umwandeln lassen. An eine Bodenkomponente abgestrahlt, werden sie dort in Computern gespeichert und weiter aufbereitet. Multispektralaufnahmen, das sind gleichzeitige Aufnahmen in verschiedenen Wellenbereichen des elektromagnetischen Spektrums, vom Infrarotbereich über das sichtbare Licht zu Ultraviolett, bis hin zu Aufzeichnungen abgestrahlter Radar-Impulse, vermögen selbst in Bereiche wie Erde und Wasser einzudringen. Solche Art bildformender und elektronischer Erkundung wird in erster Linie vom militärischen und wissenschaftlichen Forschungsbereich getragen und technisch immer weiter vorangetrieben.

In weitaus bescheidenerem Rahmen, doch nicht minder interessant und aufschlußreich, findet die bildhafte Darstellung aus der Vogelperspektive jedoch auch im regionalen und lokalen Bereich zunehmende Anwendung. So ist der Blick von oben vor allem dort sinnvoll, wo es, wie bei großflächigen Katastrophen (Überflutung, Erdbeben, Bränden, Sturm- und Orkanschäden) darum geht, sich möglichst rasch einen Überblick zu verschaffen.

Zunehmend bedient man sich solcher Mittel zur Beobachtung, jedoch auch schon unter vorbeugender Perspektive. Luftbildüberwachung wird periodisch und flächendeckend vorgenommen, und das so gewonnene Material steht dann ähnlich einer Datenbank zur Verfügung. Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich dabei auf straßen- und städtebauliche Maßnahmen ebenso wie solche der Kartographie, Kleinklimaerforschung, Archäologie, Forstwirtschaft bis hin zum weiten Feld des Natur- und Landschaftsschutzes. Wie es also im Stadtwald um die Vitalität der Bäume bestellt ist, inwieweit die Schadstoffemission einer Chemiefirma die Vegetation ihres Umfeldes beeinflußt, der Standort für eine Müllverbrennungsanlage richtig gewählt wurde oder die Baumallee entlang einer stark befahrenen Straße noch gesund oder schon im Absterben begriffen, zu diesen und anderen Fragen liefert die Fotografie wichtige Fingerzeige und damit Entscheidungshilfe.

Bietet herkömmliche Schwarz-Weiß- oder Farbfotografie zunächst nicht mehr als die bloße Ablichtung des gegenständlich und farblich Vorhandenen, so geht die Spezialfotografie einen wesentlichen Schritt darüber hinaus. Im elektromagnetischen Spektrum liegt der Infrarotbereich bekanntlich zwischen dem langwelligen Rot des sichtbaren Lichts und dem kurzwelligen, sprich für das menschliche Auge unsichtbaren, der Millimeterwellen. Wir fühlen Infrarotstrahlung daher eher als Wärme denn als Licht. In der Fotografie macht man sich diese Eigenschaft zunutze, indem besondere Emulsionsschichten auf einen Filmträger aufgetragen werden: der Film wird damit für bestimmte Wellenlängen sensibilisiert. Wärmere Gegenstände, die, durch Sonne erwärmt, sich von ihrem Umfeld abheben und vermehrt Infrarotanteile abstrahlen, zeichnen sich so auch auf dem Film durch eine andere Farbgebung ab. Dies ist soweit noch nichts entscheidend Neues, denn Infrarot-sensitive Filme sind in der Thermographie seit Jahren im Gebrauch. Die vorläufig letzte Stufe in der Entwicklung sind jedoch sogenannte "Infrarot-Falschfarbenfilme. , solche mit einem sogenannten "Wood-. oder "Chlorophyll-Effekt. . Der Arbeitsbereich dieser Spezialfilme erstreckt sich auf den Sektor des sichtbaren Lichts (400 bis 720 nm und 0,4 bis 0,72 micron) bis hin zu dem des nahen Infrarots (700 bis 900 nm). Gebräuchliche Maßeinheit im elektromagnetischen Spektrum ist, neben Micron und Angström, das Nanometer: 1 nm = milliardster Teil eines Meters.

Die Besonderheit des Schichtaufbaus von Infrarot-Falschfarbenfilmen besteht darin, daß sie im Gegensatz zu herkömmlichen Farbumkehrfilmen nicht für Blau, Grün und Rot, sondern für Grün, Rot und Infrarot sensibilisiert sind. Aufgrund einer erweiterten Rot-Empfindlichkeit entsteht so ein vom normalen Augeneindruck abweichendes Bild. Dieser technische Trick, Gelb- und Blauanteile herauszufiltern, den Rot-Bereich jedoch zu erweitern, hat zur Folge, daß Reflektionsunterschiede zwischen gesunden und kranken Bäumen, voll im Saft stehenden Feldern und Wiesen gegenüber absterbender Vegetation sich deutlich abzeichnen.

Gesund, sprich reichlich mit Chlorophyll angereichertes Blattgrün, Tannennadeln, Mais oder Klee wird im Infrarotbereich intensiver (dunkelrot) dargestellt, als vergleichsweise geschädigte, absterbende (hellrot-weiß) Vegetation. Jeder einzelne Baum in einem Forst, Stadtpark oder in einer Allee kann so auf seine Vitalität hin begutachtet werden. Voraussetzung für einen erfolgversprechenden Einsatz ist allerdings die richtige Wahl der Jahreszeit, sachgerechte Lagerung (-18 bis 23 Grad Celsius) und Handhabung solcher Spezialfilme und, zu guter Letzt, die fachkundige Interpretation des entwickelten Materials.

Da es keinen allgemeingültigen, verläßlichen Interpretationsschlüssel gibt, mit dem sich Farbe und Schädigungsgrad auf alle Bäume anwenden ließe, kranke Bäume einer Art können aussehen wie gesunde einer anderen, hilft letztlich nur die auf Ausbildung, Vergleich und Erfahrung begründete Auswertung durch qualifiziertes Personal.

Warum man sich solch technischer Hilfsmittel heute noch verhältnismäßig wenig bedient, hat neben anderen Ursachen vor allem finanzielle. Flugstunden - ausgeführt von Spezialfirmen -, Falschfarbenfilme, deren Entwicklung und Interpretation sind relativ teuer. Die Finanzlage von Ländern, Städten, Gemeinden und Behörden ist bekanntermaßen angespannt. Ob dabei für eine objekt- oder raumbezogene Luftbildaufklärung noch Finanzmittel eingeplant werden können, hängt nicht zuletzt davon ab, ob man von solchen technischen Verfahren überhaupt ausreichende Kenntnisse besitzt und welchen Stellenwert man diesen Erkenntnissen im Entscheidungsprozeß einzuräumen bereit ist. Dabei kann es nämlich durchaus vorkommen, daß das Ergebnis der ins Auge gefaßten Planung entgegensteht. Der Blick auf den Film könnte ergeben, daß man vom ausgewählten Standort für eine Industrieansiedlung mit Schadstoffausstoß besser Abstand nehmen oder eine ins Auge gefaßte Bushaltestelle sinnvollerweise nicht gerade dort eingerichtet werden sollte, wo der Spezialfilm ohnehin von Abgasen geschädigte Bäume kenntlich macht.



 



Auf Infrarot-Falschfarbenfilmen kann der Fachmann den Unterschied zwischen gesunden und kranken Bäumen erkennen.


Eine freie Landschaft mit Feldflur und Feldgehölzen. Bei diesen Fotografien sind auch Hinweise auf archäologische Funde wie Römerstraßen oder Gutshöfe möglich.


Auch im kommunalen und regionalen Bereich kann die moderne Luftbildfotografie zur Kontrolle des Baumbestands eingesetzt werden. Unser Bild zeigt den Burgberg mit dem Stadtweiher in Staufen im Markgräflerland.


Mit Chlorophyll angereicherte Pflanzen wie Mais und Klee zeichnen sich auf dem Infrarot-Falschfarbenfilm dunkelrot ab.