Schmöker auf dickem Papier
Vor 50 Jahren auf dem Markt: die Leihbücher

von Jörg Weigand

Sie prägten volle zwei Jahrzehnte lang den Lesegeschmack breiter Bevölkerungsschichten, hatten dennoch nur geringe Auflagen und sind heute - außer bei den nicht wenigen Sammlern - so gut wie vergessen: die Leihbücher, die von kleinen und kleinsten Verlagen speziell für gewerbliche Leihbüchereien hergestellt und vertrieben wurden.

Leihbücher nach 1945: Das waren Schmöker mit dickem, holzhaltigem Papier und grellbunten Covers, die zum Schutz gegen den Abrieb bei häufigem Gebrauch mit einer Kunststoffolie, sogenanntem Supronyl, überzogen waren. Nachdem gleich nach dem Krieg das Geschäft mit der Unterhaltungsliteratur über die normalen Buchhandlungen nicht so recht in Gang kommen wollte, begannen um 1949/50 herum zahlreiche Verlage, für das Leihbuchgewerbe Titel bereitzustellen: Liebesromane in allen Varianten, vom Arztroman über die Adelsromanze und das Bergabenteuer bis zum Mutter-Kind-Drama, Abenteuer vom Kriminal-, Wildwest-, Piraten- und exotischen Aktionsroman bis zur Science Fiction.

Von den insgesamt etwa 220 Verlagen, die im Laufe von über zwei Jahrzehnten den Markt mit dieser Art von mehr oder minder seichter Unterhaltung belieferten, waren 13 in Baden-Württemberg beheimatet; dazu kam in unmittelbarer Nachbarschaft der Ravena-Verlag in Basel. Man kann feststellen, daß sich solche Verlagshäuser bevorzugt in strukturschwachen Landstrichen, etwa dem Sauerland, ansiedelten. Dort waren die Arbeitskräfte billig zu haben, bei den kleinen Auflagen ein wichtiges Argument für einen solchen Standort. Der geringe Anteil an der Gesamtzahl der deutschen Leihbuchverlage in der Zeit zwischen 1950 und Anfang der 70er Jahre in Baden-Württemberg spricht also für dessen gute soziale Strukturen.

Ein Leihbuchtitel hatte in der Regel eine Auflage zwischen 1500 und 2500 Exemplaren; höhere Auflagen wurden nur gedruckt, wenn die Nachfrage von Seiten des Büchereipublikums groß genug war. Einige "Stars. unter den Autoren kamen in der Hochzeit des Leihbuchs, zwischen 1960 und 1965, auf bis zu 5000 Exemplare. Als absoluter Superstar konnte der Westernautor Gert F. Unger eine Zeitlang sage und schreibe 7000 Exemplare pro veröffentlichtem Titel abrechnen. Gegen Ende der Leihbuchära, um 1970 herum, fielen die Auflagen stetig und lagen zuletzt bei kaum noch rentablen 800 Exemplaren.

Im nach 1945 neu geschaffenen Bundesland Baden-Württemberg fanden sich die Leihbuchverlage weit verstreut. In Mannheim gab es Helena und Laemmel, in Heidelberg den Burgen-Verlag und Skulima, in Tauberbischofsheim Blaustern, Drewes, Lion und Hermann Müller, dazu in Rastatt Bokämper, Germania in Böblingen und in Stuttgart Argus, Drei Raben und Titania.

Von diesen 13 Verlagen waren fast alle Kleinstbetriebe, die mit nur wenigen Titeln den Markt beschickten. Lediglich Titania in Stuttgart hat eine erhebliche Bücherzahl herausgebracht, insgesamt etwa 670 Titel. Während die Konkurrenten sich hauptsächlich auf sogenannte Männerromane wie Western oder Krimis verlegten, kümmerte sich der Titania-Verlag ausschließlich um die Leserinnen. Von Leni Behrendt über Karin Bucha bis Hedwig Courths-Mahler und Hans Ernst, nicht zu vergessen die Courths-Mahler-Tochter Friede Birkner - fast alle, die zur damaligen Zeit einen Namen auf dem Gebiet des leicht zu lesenden Frauenromans hatten, waren im Programm des Stuttgarter Verlagshauses vertreten.

Ein größeres Titelangebot, wenn auch ausschließlich im Krimi-Bereich, hatte dann noch der in Basel beheimatete Ravena-Verlag, der neben deutschen Spannungsautoren auch amerikanische Thriller, etwa von William P. McGivern, Brett Halliday, Erle Stanley Gardner und Richard S. Prather, anbot.

Im gesamten Gebiet der damaligen Bundesrepublik Deutschland gab es um 1960, dem Höhepunkt der Leihbuchära, 27.685 Ausleihstellen; die wenigsten davon waren Voll-Leihbüchereien, meistenteils erfolgte die Ausleihe im Nebenerwerb: Lottoannahmestellen, Tabakläden, Schreibwarengeschäfte, sogar Wäschemangelbetriebe stellten sich die Schwarten mit den grellbunten Titelbildern in die Regale.

Den Vertrieb hatten Vertreter übernommen, die von Leihbücherei zu Leihbücherei zogen und die Neuerscheinungen mittels der Titelbilder, geordnet in Kladden, wie das bei Tapeten auch heute noch üblich ist, anboten. Oft genug ging es da weniger um die Inhalte der zu verkaufenden Bücher, geordert wurde nach der Aussagekraft des Covers: je grellbunter, desto besser.

Die lange Zeit kolportierte Einordnung solcher Literatur, auch der Heftroman gehörte dazu, als "Lektüre für die Unterschicht. läßt sich heute in dieser Prägnanz nicht aufrecht erhalten. Kunden der gewerblichen Leihbüchereien waren Angehörige aller gesellschaftlichen Schichten und aller Bildungsgrade. Auffällig etwa bei der Science Fiction war der hohe Anteil von Lesern aus technischen und naturwissenschaftlichen Berufen mit entsprechender Vorbildung.

Die Autoren und Autorinnen der Leihbuchromane waren zum einen Profis, die bereits vor 1945 veröffentlicht hatten und auf einen entsprechend großen Bestand an Titeln zurückgreifen konnten, die sie nun, nach Kriegsende, erneut drucken ließen. Solche Autoren, dazu gehörten etwa die Westernschreiber Axel Berger, Hans Haller und Paul H. Schubert, die Krimiautoren Walter L. Gebauer, Hermann Hilgendorff und C. V. Rock sowie die Frauenromanautorinnen Karin Bucha und Any von Panhuys, hatten einen problemlosen Start: Ob neuer Titel oder Nachdruck, die Romane wurden ihnen von den Verlagen buchstäblich aus der Hand gerissen.

Zum Vergleich: Im Jahr 1955 verdiente ein Ingenieur in leitender Position laut Tarifgitter der IG Metall etwa 500 bis 550 Mark im Monat. Für einen Leihbuchroman erhielten die Autoren bereits 1950 zwischen 400 und 600 Mark; da manche Viel- und Schnellschreiber bis zu vier, ja sechs Titel im Monat - bei verschiedenen Verlagen und oft unter sehr unterschiedlich klingenden Autorennamen - unterbrachten, kann man ohne weiteres von der goldenen Ära des Unterhaltungsromans sprechen, zumindest was die materielle Versorgung angeht. Diese Blütezeit der Unterhaltung dauerte bis etwa Mitte der 60er Jahre.

Schwerer als die beim Leser aus der Vorkriegszeit bekannten Profis hatten es da die jungen Autoren, die erst noch im Markt Fuß fassen mußten. Autoren wie Heinz G. Konsalik, Gert F. Unger, Robert Ullman, Susanne Scheibler und viele andere legten damals den Grundstein für spätere Topkarrieren als Schriftsteller. Heinz G. Konsalik, der mit richtigem Namen Heinz Günther heißt, begann im Leihbuch mit Frauen-, Kriminal- und Sittenromanen. Sein 1952 im Verlag Drewes/Tauberbischofsheim erschienener Roman "Warum hast du das getan, Manon?. wurde 1956 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Bad Godesberg wegen sittlich anstößiger Stellen indiziert.

Nicht wenige der Leihbuch-Autoren waren in Baden-Württemberg ansässig. So wohnte der 1884 in Quedlinburg geborene Wilhelm Hiller zur damaligen Zeit in Baden-Baden. Er war zur See gefahren, hatte in den USA als Zeitungsreporter gearbeitet und während vier Jahren in Hollywood als Filmregisseur gewirkt. Hiller schrieb Kriminal- und Westernromane; sehr beliebt war seine Serie "Buffalo Jack. . Nach einer Angabe im "Wer ist wer?. von 1955 besaß er eine der größten Kunstsammlungen alter Meister in Südbaden.

Ein weiterer interessanter Autor war der 1901 in Berlin geborene Walter Schwerdtfeger. Während der Nazizeit saß er zehn Jahre in politischer Haft. Nach 1945 war er Stadtrat in Karlsruhe und Chefredakteur der "Badischen Neuesten Nachrichten. . Er schrieb unter den Pseudonymen "Allan D. Smith. und "Henry Wolf. vor allem bemerkenswerte Science-Fiction- und Abenteuerromane. Schließlich noch ein Kuriosum: Unter dem Autorennamen "Fritjof Guntram. erschienen im Balowa-Verlag/Balve Kriminalromane, die sich nicht nur durch originellere Plots als normalerweise, sondern auch durch sorgfältigere Konstruktionen und besseren Stil auszeichneten. Autor dieser Krimis war Fritjof G. Haft, der sich für die Veröffentlichung einfach seiner beiden Vornamen bediente. Haft, Jahrgang 1940, schrieb diese Romane während des Jurastudiums und ist heutzutage wohlbestallter ordentlicher Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Tübingen.

Pseudonyme waren im Leihbuchgeschäft sehr wichtig. Und das aus mehreren Gründen. Zum einen gab es Autoren, die in den verschiedensten Sparten - vom Krimi bis zum Arztroman - alles schrieben. Das verlange nach verschiedenen Autorennamen; manche Autoren, etwa im Westernbereich, schrieben im Monat bis zu vier und mehr Titel - also erfanden sie immer neue Namen, unter denen diese Romane erschienen. Das war auch deswegen wichtig, weil viele Verlage ihren Autoren Ausschließlichkeitsklauseln in die Verträge schrieben - danach war es ihnen untersagt, für andere Verlage tätig zu werden. Und wer unter einem geheim gehaltenen Pseudonym für einen weiteren Verlag schrieb, konnte von seinem eigentlichen Verleger nicht wegen Vertragsbruch belangt werden.

Von allen Autoren, die in der Leihbuchära tätig waren, ist Hans-Joahim von Koblinski mit Sicherheit der produktivste gewesen. Zwischen 1950 und 1975 veröffentlichte er sage und schreibe 1700 Titel, quer durch alle Genres, diktierte oft einen ganzen Roman innerhalb von zwei Tagen dem Setzer buchstäblich in die Maschine. Der Autor schrieb also im Schnitt fünf bis sechs Schmöker im Monat und verwendete dafür über 20 Pseudonyme, etwa "Bert Andreas", "John Fletcher. , "Joe McBrown. oder

"J. H. Wayne. . Das war bei weitem keine gehobene Literatur, konnte es gar nicht sein, bei der Schnelligkeit, mit der sie entstand, wäre aber - allein von der Anzahl der Titel her - mit Sicherheit einen Eintrag ins "Buch der Rekorde. wert.

Mit dem stärkeren Aufkommen der Taschenbücher und dem Erstarken der Fernsehprogramme war die Zeit der Leihbüchereien Mitte der 70er Jahre im großen und ganzen zu Ende. Einige Ausleihstellen gibt es sogar heute noch, und Leser für die alten Schwarten sind offenbar auch noch genügend da. So wie das Interesse an den Leihbüchern wieder im Kommen zu sein scheint. Nicht wenige Sammler haben sich inzwischen des Gebiets angenommen, für manche gut erhaltenen Titel etwa der Western-Serien "Billy Jenkins. oder "Tom Prox. werden mehrere hundert Mark bezahlt. So ist abzusehen, daß die Leihbücher als kleiner Teil der Buchgeschichte in Deutschland zumindest in solchen Sammlungen überleben werden.




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Leihbuchtitel aus Baden-Württemberg: "Mike Randell, Sturz in die Tiefe. (Kriminalroman/Helena-Verlag, Mannheim).

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Leihbuchtitel aus Baden-Württemberg: "Theo Reubel-Ciani, Aufruhr am Rio Yalde. (Abenteuerroman/Hermann Müller-Verlag, Tauberbischofsheim).


Auch er begann seine Karriere im Leihbuch: H. G. Konsalik, damals mit leicht verändertem Autorennamen.


Schrieb damals Kriminalromane, heute ist er Professor in Tübingen: Fritjof G. Haft mit seinem Pseudonym "Fritjof Guntram .