Reineke Fuchs der Überlebenskünstler
von Karl Sigwarth

Im Alpenzoo in Innsbruck sah ich in seltener Eintracht Fuchs und Bär in einem gemeinsamen Gehege. Von einer unüberwindlichen Mauer umgeben, bot der geräumige Hof mit viel aufgetürmtem Felsgestein beiden Tierarten leidlichen Auslauf. Für den Fuchs als den vermeintlich Schwächeren gab es genügend Schlupfwinkel. Aber brauchte er diese überhaupt? Es war amüsant und lehrreich zugleich, den so unterschiedlichen Tieren eine Weile zuzuschauen. Dem Fuchs schien es echtes Vergnügen zu bereiten, die schwerfälligeren Petze zu ärgern.

Die alten Bären belästigte er auf hinterlistige Art, indem er sie spielerisch in die Hinterbeine biß. Drehte der Bär sich nach dem Peiniger um, so war dieser mit einem raschen Sprung aus dem Bereich der dicken Pranken. Den possierlichen Jungbären griff der Fuchs frech von vorn an. Der richtete sich in Boxerstellung auf den Hinterbeinen auf und verteidigte sich mit den kleinen Vorderpranken gegen den boshaften Räuber. Als er der Spielchen überdrüssig wurde, verzog er sich in eine Ecke bis zur nächsten Aufforderung zum Tanz. Der übermütige Fuchs ließ keinen Zweifel daran, wer hier der Meister war. Draußen in der freien Natur kommen sich Fuchs und Bär bei mancher gerissenen Beute ernsthafter ins Gehege, wo es sie überhaupt beide noch gibt, vielleicht in den Weiten Sibiriens oder Alaskas. Bis auf wenige Reservate in den Karawanken, Julischen Alpen und Karpaten ist der Braunbär in Mitteleuropa längst ausgestorben, wie auch Wolf und Luchs. Nur der schlaue Fuchs als kleinster Vertreter der großen Beutegreifer konnte sich überall behaupten und den Verfolgungen durch den Menschen widerstehen, ja, er wurde sogar zum Kulturfolger bis in die Großstädte. Dort führt er sein heimliches Dasein im Verborgenen und hat die Nacht zum Tag gemacht. Nur im Winter offenbaren sich seine Wege in Wald, Flur und Parkanlagen, wenn man im Neuschnee seine Spur sieht. Schnurgerade zieht sich die Fuchsspur über die weiße Fläche und unterscheidet sich dadurch von jeder Hundespur. Auch der Jäger spricht vom Schnüren des Fuchses, weil er fein säuberlich eine Pfote vor die andere setzt. Reineke gibt sich alle Mühe, möglichst wenig auf sich aufmerksam zu machen.

Obwohl wir so viel über den Fuchs und seine Lebensweise wissen, gibt er uns noch immer Rätsel auf. An seine Lebensräume stellt er keine besonderen Ansprüche und weiß sich überall anzupassen, ob in Feld und Wald oder in der Nähe der Dörfer und Städte. Im Sommer 1995 sah ich einen Fuchs in den Schweizer Alpen in 1400 Metern Höhe. Er schnürte bei Leukerbad im Wallis über die Landstraße und verschwand im felsigen Bergwald. Die Farbe des Bergfuchses ist mehr grau als rötlich braun.

Unser Rotfuchs, zoologisch Vulpes vulpes, zählt zu den hundeartigen Raubtieren und ist 30 bis 40 Zentimeter hoch, 90 bis 140 Zentimeter lang, wovon 30 bis 50 Zentimeter auf den buschigen Schwanz entfallen, und sechs bis zehn Kilogramm schwer, einer der kleinsten Wildhunde also. Alle Sinnesorgane sind bei ihm vorzüglich ausgebildet. Man sagt dem Fuchs auch nach, daß er mehr sieht als andere Hunde. Mit etwa 50 Unterarten ist der Rotfuchs über den ganzen eurasischen Waldgürtel verbreitet.

Durch den Menschen gelangte die europäische Art in fast alle Teile der Erde und konnte sich erfolgreich behaupten, ob in Amerika, Australien oder Neuseeland. Südlich vom Verbreitungsgebiet des Rotfuchses leben in Asien die kleineren, kurzohrigen Steppenfüchse, der Korsac vom Don bis zum Baikalsee und der Cana-Fuchs vom Kaspischen Meer bis Pakistan. In den Hochsteppen Tibets lebt der etwas größere Tibetfuchs, in Vorderindien der Bengalfuchs. In Nordamerika bis Mexiko sind der nordamerikanische Rotfuchs und der Kitfuchs beheimatet, in Afrika zwischen der Sahara und dem Regenwaldgürtel der Blaßfuchs, in Südafrika der Kama oder Silberrückenfuchs und in Nordafrika und Südwestasien der Sandfuchs. Den hohen Norden beherrscht der Polarfuchs.

Doch zurück zu unserem heimischen Rotfuchs und seiner Lebensweise als Einzelgänger und Schlaukopf ohnegleichen. Sein reichhaltiger und vielseitiger Speisezettel hilft ihm beim Überleben durchs ganze Jahr. Fast könnte man den Fuchs als Allesfresser bezeichnen. Er jagt Hasen, Wildkaninchen, Rehkitze, Rebhühner, Fasanen, Haushühner, kleine und große Vögel, kann sogar Gänse und Schwäne überwältigen, wenn ihn der Hunger treibt. Er verschmäht auch Aas nicht, plündert Mülltonnen und Mülldeponien. Die Hauptnahrung besteht jedoch aus Mäusen und Ratten. In einem Fuchsmagen fand man nicht weniger als 48 Wühlmäuse. Dagegen werden Spitzmäuse, wohl wegen des Moschusgeruchs, verschmäht. Reineke fängt Fische, verzehrt Regenwürmer, Schnecken, Frösche, Eidechsen und Insekten aller Art.

Daneben nimmt er mit Beeren und Früchten auch vegetarische Kost, besonders Himbeeren, Brombeeren und Heidelbeeren schmecken ihm gut. Und er kennt, wie der Wolf, verschiedene Heilkräuter gegen Unwohlsein und Krankheiten. Bei aller List und Geschicklichkeit in der Nahrungsbeschaffung ist der Winter auch für den Fuchs eine harte Zeit. Dann sind wiederum Wühlmäuse für ihn die leichteste Beute, wenn sie in den wärmeren Tagesstunden rege werden und notfalls unter dem Schnee ausgegraben werden müssen. Sein feines Gehör verrät ihm ihre Aktivitäten in der Erde.

In die froststarrenden Wintermonate Januar und Februar fällt gewöhnlich die Ranzzeit der Füchse. Die sonst mehr nachtaktiven Tiere sind dann den ganzen

Tag ruhelos unterwegs. Häufig steckt auch eine ganze Gesellschaft zusammen im warmen Bau, wo es unter den Rüden zu Ausscheidungskämpfen kommt, bis sich die Paare zusammengefunden haben. Nach siebeneinhalb Wochen Tragzeit bringt die Fähe in der Regel drei bis sechs Junge zur Welt. Die maulwurfgroßen Neugeborenen sind noch blind und haben ein nußbraunes bis schiefergraues, wolliges Erstlingskleid mit weißer Schwanzspitze, weißem Brustfleck und gelbweißen Stirnbinden. Bis zu acht Wochen werden sie gesäugt, verlassen aber schon nach vier Wochen den Bau und tragen dann das zweite, rotbraune Jugendkleid. Die erste, im Magen vorverdaute Fleischnahrung würgt die Fähe vor den Jungen aus.

Sobald sie vor dem Bau spielen, trägt sie auch lebende Beute herbei. Es mag grausam erscheinen, wenn eine Maus oder ein junges Wildkaninchen von den Jungfüchsen zu Tode gequält werden, ehe es ans Verspeisen geht. Einem kleinen Fuchs ergeht es nicht anders, wenn er von einem Habicht, Adler oder Uhu gegriffen wird. Doch haben die Füchse bei uns kaum noch natürliche Feinde, da diese alle ausgestorben oder sehr selten geworden sind. Über die Beteiligung des Fuchsrüden an der Versorgung seiner Familie gibt es unterschiedliche Berichte. Solange die Fähe säugt, versorgt er sie mit Beute. Später läßt die Mutter den Vater meist nicht zu nahe an die Jungen herankommen, so daß er Beutetiere in gehörigem Abstand vor dem Bau ablegt. Ich selbst habe aber eine Fuchsfamilie einträchtig vor dem Bau spielen und ruhen gesehen. Kommt die Fähe ums Leben, so soll der Rüde sogar die Aufzucht der Jungen vollständig übernehmen. Ohne viel Anleitung durch die Eltern lernen die Jungfüchse das Jagen. Dennoch erreichen nur wenige das Erwachsenenalter. Der schlimmste Feind des schlauen Fuchses ist seit alters her der Mensch, zugleich aber auch sein großer Bewunderer. Über Jahrtausende bis heute wird Reineke erbarmungslos gejagt, ob mit Pfeil und Bogen, Schlingen und Fallen, mit Feuerwaffen, Gift und Gas. Hetzjagden zu Pferde mit der Hundemeute sind noch immer in England ein beliebter Sport. Den Jäger treibt der Jagdneid an, weil er dem Fuchs nicht einmal die Mäuse gönnt. Aber auch sein schönes Fell mit dem buschigen Schwanz war Ziel der Jagd und über lange Zeiträume Zierde der Damenmode.

Die vom Fuchs verbreiteten Krankheiten wie Tollwut, Fuchsbandwurm und Parasiten sind oft nur vorgeschobene Gründe für die Jagd bis zur Ausrottung eines Bestandes. Die Tollwut hat man durch ausgelegte, mit Impfstoffen präparierte Köder in den letzten Jahrzehnten gut in den Griff bekommen. Seitdem konnten sich die Bestände in Europa auch wieder vermehren. In Deutschland genießt der Fuchs mit Ausnahme der Aufzuchtzeit keine Schonung. Auch die umstrittene Jagd mit Abzugeisen ist in vielen Gegenden noch üblich und leider auch gesetzlich erlaubt, obwohl sich in solchen Fangeisen nicht selten Hunde schwer verletzen oder qualvoll wie der Fuchs darin verenden, wenn man sie nicht rechtzeitig befreien kann.

Ein Umdenken hat auch in Jägerkreisen eingesetzt. Walter Eckerle, Förster und bekannter Tierfilmer aus dem Schwarzwald, hat hinreißende Streifen vom Fuchs und seiner Sippe gedreht und ruft dazu auf, ihn mehr als bisher zu schützen. Wir alle sind es diesem schönen, klugen und freien Wildhund schuldig, daß er als wichtiges Glied im Kreislauf der Natur nicht nur überlebt, sondern ein würdiges Dasein führen kann.

In der Tiersage und Dichtung gilt der Fuchs als Sinnbild der Schlauheit und Verschlagenheit. Im Märchen dagegen tritt er auch als hilfreiches Tier auf. Die älteste Fuchsfabel ist aus Assur um 716 v. Chr. überliefert. In den Äsopischen Fabeln aus dem 1. bis 6. Jahrhundert n. Chr., geschrieben von Phädrun, Babrios und Avianus, ist der Fuchs vielfach ein Held der Tiere. Die Fabeln mit vielen Illustrationen, zum Beispiel "der Fuchs und die Weintrauben. , waren vom frühen Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert in den meisten Schulbüchern vertreten und Gemeingut der Gebildeten. Um 1100 tauchten die ersten Eigennamen für Tiere auf. Als Reinhard, der wegen seiner Schlauheit Unüberwindliche, wurde der Fuchs betitelt. Von mehreren Verfassern stammt der altfranzösische Tierroman vom Triumph des Fuchses "Roman de Renart. um 1200. Das klassische Werk der satirisch-didaktischen Tiersage ist das mittelniederländische Gedicht "Van den Vos Reinaerde. , vermutlich vor 1250 in Ostflandern entstanden. Das Epos führt den schlauen Fuchs von einem Abenteuer zum anderen durch König Nobels, des Löwen, Reich der Tiere und verspottet scharf und humorvoll die menschliche Gesellschaft. 1498 entstand daraus in Lübeck die mittelniederdeutsche Übersetzung "Reinke de Vos. , die immer wieder neu überarbeitet wurde und auch Goethe als Vorlage für seinen "Reineke Fuchs. diente.



 



Der Rotfuchs zählt zu den hundeartigen Raubtieren und wird 90 bis 140 Zentimeter lang. Davon entfallen 30 bis 50 cm auf den buschigen Schwanz.


Ein Rotfuchs mit einem erbeuteten Hasen.


Eine Fähe mit Welpen, die bis zu acht Wochen gesäugt werden.


Ein junger Fuchs erkundet das Gelände vor dem Bau.


Die Jungfüchse erlernen ohne viel Anleitung der Eltern das Jagen.


In Tiersagen und Dichtung gilt der Fuchs als Sinnbild der Schlauheit und Verschlagenheit. In Märchen und Fabeln dagegen ist er vielfach ein Held der Tiere.