Der Hamster ist selten geworden
von Karl Sigwarth

Es ist erschreckend, daß Tiere wie der Hamster, die früher so häufig bei uns vorkamen, nun sehr selten geworden und in vielen Gegenden Mitteleuropas bereits ausgestorben sind. Mit der Auswahl zum "Tier des Jahres 1996" wollten Tierschutzvereinigungen und Öko-Institute auf den Hamster aufmerksam machen, damit er in unser Gedächtnis zurückkehrt. Ein Tier, das in unsere Kulturgeschichte einging wie Hase und Igel und dem seit alten Zeiten Geschichten und Sprichwörter anhaften.

Naturforscher, Zoologen, Verhaltensforscher und Naturfilmer haben sich mit dem interessanten Nager mit dem feinen Pelzchen seit dem 17. Jahrhundert bis heute beschäftigt, von Adama Lonicero bis Irenäus Eibl-Eibesfeldt, so daß wir recht gut über seine Lebensweise informiert sind. Noch zu Beginn des 20. Jahr-hunderts wurden Hamster in Deutschland massenweise gefangen. Noch in "Brehms Tierleben" heißt es dazu: "In Thüringen gibt es Leute, welche ein Geschäft daraus machen, die Hamster auszugraben und umzubringen. In der Stadtflur von Gotha wurden in zwölf Jahren über eine Viertelmillion Hamster erbeutet und an die Stadtbehörde zur Einlösung abgeliefert. Alle Gemeinden in von Hamstern bevölkerten Gegenden pflegen für jeden eine Kleinigkeit zu zahlen, für einen Rammler und einen Jungen weniger, für ein Weibchen mehr. Den Hauptgewinn der Jagd aber bilden die Vorräte, welche dieses eigentümliche Wild sich eingetragen hat. Die Leute waschen die Körner einfach ab, trocknen sie und vermahlen sie dann wie anderes Getreide. Auch die Felle werden benutzt, obgleich noch nicht in der Ausdehnung, wie sie es verdienen, denn nach allen Erfahrungen geben sie ein ganz vortreffliches, leichtes, dauerhaftes Pelzwerk" - soweit Tiervater Brehm.

Heute gehört schon viel Glück dazu, in unserer urbanisierten und industrialisierten Landschaft einem Hamster zu begegnen. Selbst in Naturschutzgebieten ist er selten geworden. Weil in der In-tensivlandwirtschaft die Felder heute früher abgeerntet werden als noch vor 50 Jahren, kann sich der Hamster nicht mehr genügend Wintervorräte anlegen und verhungert. Sein Winterschlaf ist kurz. Er erwacht, sobald die Erde aufgetaut ist, oft schon im Februar, sicher aber im März. Reichen dann die gesammelten Vorräte nicht aus, kann er ein karges Frühjahr kaum überstehen.

Unser Hamster, auch Feld- oder Schwarzbauchhamster genannt, mit dem zoologischen Namen Cricetus cricetus besitzt ein dreifarbiges Fell, überwiegend rötlichgelb mit gelbem Schulterfleck, dunkler Unterseite, weißer Kehle und weißen Pfoten, die kleinen Händen gleichen. Es sind beste Grabwerkzeuge, die er auch sonst vielseitig nutzt. Seine Nahrung hält er mit den Vorderhänden wie ein Eichhörnchen fest.

Ein erwachsener Hamster erreicht eine Körperlänge von 24 bis 34 Zentimetern, wobei vier bis sechs Zentimeter auf den kurzen Schwanz entfallen. Er kann über 500 Gramm schwer werden und wiegt damit gut zehnmal soviel wie eine Feldmaus. Weltweit ist unser europäischer Hamster die größte Art seiner Gattung. Wenn er sich auf den Hinterbeinen aufrichtet, meist zur Beobachtung oder in Kampfstellung, wirkt er recht drollig, ist aber ein durchaus wehrhafter und angriffslustiger Nager, der mutig alles attackiert, was ihm ans Fell will, ob größere Tiere oder sogar Menschen.

Von Fuchs und Wiesel über Katzen, Hunde, Raben- und Greifvögel ist die Zahl seiner Feinde groß. Als ursprüngliches Steppentier bewohnt er gewöhnlich die Ebenen und Täler bis 400 Meter Höhe und steigt im Gebirge nur selten über 600 Meter hinauf. Als Dämmerungstier ist der Hamster überwiegend in den Morgen- und Abendstunden unterwegs, ein Grund mehr, warum man ihn selten antrifft. Seine Baue sind so verschieden angelegt, daß keiner dem anderen gleicht. Der Winterbau reicht über zwei Meter tief in die Erde, der Sommerbau bis zu einem Meter. Sie besitzen mehrere Fallröhren und Gänge, eine Wohnkammer und einen Kotplatz.

Anfang April beginnt die Ranzzeit, die bei den Männchen den ganzen Sommer über anhält. Um die Weibchen werden oft heftige Kämpfe ausgetragen. Nach längerem Paarungsvorspiel kommt es im Bau des Weibchens schließlich zur Begattung. Nach einer Tragzeit von 18 bis 20 Tagen kommen jährlich zwei Würfe von vier bis zwölf Jungen in der Nestkammer zur Welt. Da das Weibchen nur acht Zitzen besitzt, beißt es überzählige Junge meist tot, ehe sie verhungern müssen. Die Neugeborenen sind nackt und blind und wiegen sieben bis acht Gramm. Schon nach einer Woche beginnen sie mit noch geschlossenen Augen am Grünfutter zu knabbern. Öffnen sie dann nach zwei Wochen die Augen, so sind sie bereits dicht behaart.

Nach drei Wochen werden die Junghamster nicht mehr gesäugt, verlassen den mütterlichen Bau, machen sich selbständig und erreichen im Alter von acht Wochen ihr Erwachsenengewicht. Hamster sind zwar Allesesser, ernähren sich aber überwiegend von Pflanzenkost, wobei sie Feldfrüchte aller Art bevorzugen. Von Insekten und Larven über Regenwürmer bis zu Feldmäusen reicht ihr tierischer Speisezettel. Bei trockenem Wetter entkörnt der Hamster die Gras- und Getreideähren gleich draußen und bringt die Körner in prall gefüllten Backentaschen zum Bau, eine Arbeitsweise, die als Hamstern in unseren Sprachgebrauch überging. An hohen Pflanzen wie Sonnenblumen und Mais klettert der Hamster gewandt hinauf, um an die Früchte zu gelangen. Bei Nahrungsmangel unternehmen die Tiere auch größere Wanderungen.

Nicht nur der syrische Goldhamster, auch unser einheimischer, großer Hamster läßt sich als Haustier halten und als Paar sogar zur Zucht bringen. Wegen seiner unablässigen Grablust sollte man ihm aber ein entsprechend geräumiges Terrarium zur Verfügung stellen. Bei erfolgreichen Zuchtversuchen stellte sich heraus, daß es unter den Hamstern, wie schon von Brehm fälschlich beschrieben, durchaus nicht nur unverträgliche Einzelgänger gibt, sondern daß die Tiere auch in Kolonien gut miteinander auskommen. Ein Paar erzieht seine Jungen in gemeinsamer Fürsorge, und alle führen ein friedliches Familienleben. In menschlicher Obhut zeichnet sich unser Hamster als ein recht lernfähiger Hausgenosse aus. Jung aufgezogen, können Hamster recht zahm werden und sich auch zu kleinen Dressurleistungen abrichten lassen, wobei sie Meerschweinchen bei weitem übertreffen.

Doch viel wichtiger ist es erst einmal, sie vor dem Aussterben in der Natur zu bewahren, und dazu können wir erheblich beitragen. Mehr Öko-Nischen in unserer intensiv genutzten und ausge-räumten Landschaft sind von Nöten. Nach Untersuchungen bevorzugen Hamster als Wohnbezirke mehrjährige Feldfutterkulturen, und zwar neben Rotklee besonders Luzerne, da diese auf trockenen Standorten angebaut wird, die den Tieren die besten Lebensbedingungen bieten. Auf untersuchten Luzerneflächen war die Anzahl der vorhandenen Hamsterbaue dreimal so groß wie auf angrenzenden Getreidefeldern, weil die Luzerne schon acht bis zehn Tage nach der Mahd wieder eine geschlossene Grünfläche bildet. Die Hamster finden darin gute Deckung, wenn alle Getreidefelder nur noch von kurzen Stoppeln bedeckt sind. Die dicht verflochtene Wurzeldecke der Luzerne begünstigt zudem die Anlage der Baue und schützt die Ein- und Ausfahrten vor den Unbilden der Witterung. Und schließlich ist Luzerne als Nahrung reich an Mineralstoffen und Vitaminen. Sie bietet dem Hamster im Herbst und Frühjahr eiweißreiche Kost, wenn sonst kaum noch etwas zu finden ist. Das gilt auch für viele andere Kleintiere und Kleinsäuger im Feld.


 




Es gehört heute viel Glück dazu, einem Feldhamster in der Landschaft


Die weißen Pfoten des Feldhamsters, die kleinen Händen gleichen, sind gute Grabwerkzeuge und vielseitig verwendbar.


Die Zahl seiner Feinde ist groß. Deshalb bewegt sich der Feldhamster nur sehr vorsichtig im Gelände