Spukgeschichte von der "Schlüsselmarie"
von Brigitte Lange

Auf Schloß Lichtenburg zu Prettin, zu Zeiten der Kurfürstin Anna, lebte eine ebenso schöne wie fleißige Magd, die hieß Marie. Sie war die Lieblingsmagd der Fürstin und führte die gesamte Haus- und Hofwirtschaft. Weil sie aber immer überall gleichzeitig sein mußte, trug sie alle Schlüssel des Schlosses an einem Schlüsselring, groß wie ein Suppenteller, so daß man sie bald nur noch die "Schlüsselmarie" nannte.

"Mutter Anna" hatte einen sehr gepflegten Garten, in dem sie Heil- und Küchenkräuter zog. Sie trieb auch Weinbau in der Gegend. Der Dresdener Hof und das gemeine Volk kauften ihn in immer größeren Mengen. Darum brauchte "Mutter Anna" einen Kellermeister. So dingte sie denn einen armen Schäfer, der sich auf viele Kräutlein hier in Wald und Flur verstand.

Der Teufel wollte es, daß der sich in Marie verguckte. Kaum wußte er, wie man ein Faß verspundet, trug er ihr schon die Ehe an. Haha, wie hat Marie ihn ausgelacht! Ein armer Schäfer sei der Letzte, dem sie sich zur Ehe gäbe. Es müsse mindestens ein freier Bauer sein. So arm sei er nun wirklich nicht, schnaubte er zurück; um einen Hof zu kaufen, dazu reichten seine Kickerlinge allemal. Marie, die auch was auf der hohen Kante hatte, ließ sich schließlich überreden, und sie versprachen sich nach manchem Hin und Her dann doch die Ehe.

Bald aber stellte sich heraus, daß besagter Kellermeister den Wein fürs Volk mit Wasser panschte - zudem das auch noch saurer Landwein war - und sich das eigene Säcklein stopfte. Natürlich konnte sich die Fürstin nicht beklagen, ihr Haustrunk kam stets tadellos und früh genug in die Gemächer.

Wie das so ist, wenn jemand eine gute Stellung hat, ihm stellen auch die Neider nach. Durch dummen Tratsch geriet die ehrliche Marie zusammen mit dem Kellermeister bei der Fürstin in den Verdacht der Gaunerei. Zwar jagte "Mutter Anna" letzteren sofort davon, Marie jedoch war ganz und gar verzweifelt. Weinend lief sie nachts durch Schloß und Hof und Garten. Als sie den Schmerz nicht mehr ertrug, der Morgen graute, stürzte sie sich in den Hintersee. Freilich war der damals viel, viel größer und mindestens nochmal so tief wie heutzutage.

Selbstmörder durften in den alten Zeiten niemals in geweihte Kirchhoferde. Sie wurden unauffällig irgendwo verscharrt. Bevor das mit Marie geschehen konnte, kam ihre Unschuld doch noch rechten Tags ans Licht. "Mutter Anna" setzte sie mit allen Ehren bei. Das ist das Ende der traurigen Geschichte, zumindest in der wahren Welt. Keiner ahnte, daß sie in der anderen, der geisterhaften, weitergehen würde.

Die arme Seele von Marie, die keine Ruhe fand, gespensterte des Nachts als "weiße Frau", so wird erzählt, laut klagend, rasselnd mit dem Schlüsselbund herum. Einmal soll sie einem Knecht um Mitternacht im Stall erschienen sein, als der gerade eine kranke Kuh betreute. Frauen wollen sie in den heiligen zwölf Nächten beim Gartenhaus gesehen haben.

Aber auch der Kellermeister ließ sich als Poltergeist nicht lumpen. Er schlurfte schallend durch den dunklen Gang, der damals noch den Weinberg mit dem Schloß verband, und rollte seine Fässer rum, daß einem nur so grauste. Angeblich jage er die reine Seele von Marie und wolle sie dem Teufel bringen, sich selber zu erlösen. Und weil sich niemand von den Sterblichen mehr in den Spukgang getraute, wurde er nach 100 Jahren einfach zugemauert. Jetzt zweifelt man sogar, ob es ihn je gegeben habe.

Aber das Schlüsselbund der Magd Marie benutzen die Museumsfrauen heute noch.



 



Weil Marie aber immer überall gleichzeitig sein mußte, trug sie alle Schlüssel des Schlosses an einem Schlüsselring, groß wie ein Suppenteller, so daß man sie bald nur noch die "Schlüsselmarie" nannte.