Der alemannische Biographie
Der Charakterfehler

von Markus Manfred Jung

Johannes war schon ein rechter Bursche - nichts dagegen einzuwenden: Ein Gesicht, lieb wie aus dem Schöpflinkatalog, dazu quicklebendig wie ein Heugumper, Feuer unterm Hintern und Witz im Kopf. Nur einen Charakterfehler hatte er halt: er sprach Alemannisch. Eigentlich konnte er da ja nichts dafür, und er war seinen Eltern auch lange noch böse wegen dieses Erbfehlers: dieser grausigen alemannischen Halskrankheits-Sprache.

Zu allem Unglück dazu erhielt Johannes in der Schule zuerst auch noch "verständige. Lehrer. Als er zum Beispiel in einem Aufsatz geschrieben hatte: "...und dann bin ich die Stegen abengekeit und auf die Schnure geflogen. , da schlängelte sein Lehrer nur eine Linie darunter, schrieb "Dialektausdrücke. daneben und gab ihm trotzdem seine Standard-Eins. Auf dem Gymnasium dann, etwas später, da wurde ihm vom Deutschlehrer sogar erlaubt, Geschichten auf Alemannisch zu erzählen. Und in den Aufsätzen durfte Johannes so ziemlich alles schreiben, was und wie er es selber wollte. So weit ging das also. Kein Wunder, daß sich da jener liederliche Charakterzug noch weiter festigen konnte und Johannes zuletzt die schreckliche Einbildung bekam, er könne jetzt Deutsch.

Aber diese flegelhaften Flausen verflogen bald. Eine neue Lehrerin brachte ihm endlich den nötigen Respekt bei und richtiges Deutsch. Nichts mehr war richtig von dem, was Johannes vorher so gut gekonnt hatte. Und natürlich ertrug es die Lehrerin überhaupt nicht, daß Johannes ab und zu ein Dialektwort hinausrutschen ließ. Wie ein Reibeisen fuhr sie ihm über den Mund. Und nach kurzer Zeit traute sich Johannes kaum noch, etwas zu sagen, aus lauter Angst, es könne ihm aus Versehen ein alemannisches Sprachbröckelchen in die Rede fallen.

Auch wenn er fleißig zu Hause übte, kam ihm das Hochdeutsch doch noch tief von hinten aus dem Hals hervor. Und weil er so einmal "ein bißchen. sagte, kratzig im Hals wie gewöhnlich, zog ihn die Lehrerin vor an die Tafel und ließ ihn 20mal "ein biß-chen. sagen, ohne daß sein zarter Adamsapfel auch nur einen Muckser zeigen durfte. Und wie da alle lachten in der Klasse! Und mit Tränen in den Augen schwor sich Johannes damals, daß er später Deutsch studieren wolle. Zuhause stand er dann immer wieder vor den Spiegel, eine Hand am Hals, und übte: "Ein bißchen besser das Späßchen, Bäschen.... oder so.

Später, an der Universität, wurde das dann aber doch wieder schlimmer mit unserem Johannes. Weil er der Meinung war, Mittelhochdeutsch sei ja fast wie Alemannisch, und Freiburg sei schließlich die alemannische Hauptstadt, wollte er sein erstes Referat, über den "Iwein. von Hartmann von Aue, auf Alemannisch halten. Eigentlich hatte ihn ja sein Dozent sogar auf diese Idee gebracht, dieser Idiot. Aber seine Mitstudenten drückten Johannes den vorwitzigen Kopf schnell wieder zwischen die ängstlich hochgezogenen Schultern, raubten ihm mit Johlen und Pfeifen den letzten Schneid und meinten, das sei doch ein Deutschstudium und kein Fasnachtsseminar oder Komikerwettbewerb.

Da sah er es endlich ein, dieser Johannes. Wenn er den Mund überhaupt noch aufbrachte, redete er nur noch Hochdeutsch, so richtig geschraubt wie von der Deutschlehrkassette für Ausländer. Sogar daheim. Seine Eltern schauten sich nur gegenseitig an, ganz verängstigt, und trauten sich nicht einmal mehr zu fragen, wie lange er denn um Himmelsgottswillen noch studieren wolle.

Ganz allmählich schließlich wuchs in Johannes drin so ein richtiges hochdeutsches Bewußtsein. Und mit der Zeit traute er sich doch tatsächlich wieder einmal, im Seminar schüchtern ein paar Fragen zu stellen, bis - ja, bis ihn einmal eine hübsche Studentin, das Mädchen hatte ihm lange schon gefallen, bis die ihn nach einem Seminar abpaßte und ihn ansprach: "Du, das gefällt mir, weißt du, wie du sprichst, dein lieber Akzent, - bist du Schwabe?. Da wurde Johannes ganz bleich, dann rot bis zu den Brustwarzen hinunter, stotterte etwas von "Völkerwanderung, die Alemannen, die Sueben, Sprachverwandtschaft.... und so, stürmte die Treppe hinunter und ab, raus aus der Uni. Dieser Schock saß: ein Schwabenakzent!

Seither lernt er fleißig Sprachen: Norwegisch, Englisch, Französisch. Im Seminar spricht er nur noch Englisch, oder zumindest Deutsch mit englischem "accent. . Und schau her, schon geht's ihm gut. Alle dort sind unheimlich überrascht, wie schön er sich auf einmal ausdrücken kann. Immer öfter meldet er sich jetzt, so sicher und so stolz auf seine Sprache ist er inzwischen geworden.

Nur, ab und zu, nachts im Traum, da schleicht sich ein Wort in die Sprache, wie "Chuchichänschterli. , "Chriesichratte. oder gleich ein ganzer Satz wie "de Pabscht hät s Speckbschteck zschpoot bschtellt. . Und tropfnaß wacht er auf, geweckt vom eigenen Angstschrei... Und wie froh ist er, daß er alleine schläft und niemand merken kann, wie ihn jener verdammte Charakterzug immer noch plagt: Die alemannische Halskrankheits-Sprache.



 



Eine neue Lehrerin brachte ihm endlich den nötigen Respekt bei und richtiges Deutsch.