Die Braut für ein Lackschild
von Heinrich Rudolf

Am Ende eines hohen Schwarzwaldtales, nahe der Wasserscheide von Rhein und Donau, standen früher einmal zwei Häuser, ein stolzer großer Bauernhof und ein bescheidenes Gewerbshäusle, in dem ein Uhrengestellmacher werkelte. Theresa, die Tochter des Bauern, und Laurenz, der Sohn des Gestellmachers, waren von früher Jugend an unzertrennlich. Das sahen anfangs die Bauersleute ganz gern, denn so brauchte niemand auf die umtriebige kleine Theres aufpassen.

Doch als die beiden auch später immer noch beisammen hockten, ließ sich ein Machtwort des Bauern nicht länger vermeiden. "Diesen Hungerleider heiratest Du nie. , sagte er schlecht gelaunt, und dabei blieb es. Doch alle Bewerber, die später um ihre Hand anhielten, hat Theresa abgewiesen. Der Bauer meinte dazu, dann solle sie eben ledig bleiben, das erspare dem Hof eine fremde Großmagd.

Nur zwei Dinge konnten dem Hintertalbauern imponieren, viel Geld oder eine Neuerung, deren Bedeutung er einsehen konnte. Alle auf dem Hof waren überrascht, wie höflich und zuvorkommend er Pater Thaddäus vom Kloster Sankt Peter behandelte, nicht weil das ein geistlicher Herr war, sondern weil dieser ihm ein Messingröhrchen mitgebracht hatte, das bei der Entwässerung sumpfiger Wiesen helfen konnte.

Immer wieder dachte Laurenz über seine Lage nach, doch einen Ausweg sah er nicht. Zwar konnte man beim Uhrenhandel mit Glück und Geschick in zehn Jahren viel Geld verdienen, aber er besaß nicht einmal die Summe, die auswärtige Uhrenhändler bei einem neuen Knecht als Einstand verlangten. Und etwas Neues, was konnte einem im Hintertal da schon einfallen!

An einem Sonntag im Herbst hatte Laurenz ganz früh schon eine Trage mit fertigen Holzgestellen in den nahen Marktflecken gebracht. Nach dem Gottesdienst gönnte er sich, wie einmal in jedem Monat, im "Adler. ein Viertele. Am Nachbartisch ging es laut her, zwei Uhrenhändler, der eine aus England, der andere aus Frankreich, beklagten sich, wie hart der Konkurrenzkampf sei und wie anstrengend das Leben in der Fremde. "Die Engländer verkaufen jetzt eigene Uhren mit weiß bemalten Blechschildern, die haben sogar bunte Blümchen in den Ecken, das gefällt dort vielen Bauers- und Bürgersleuten. , rief der eine. "Und die Franzosen. , antwortete ebenso lautstark sein Kollege, "haben jetzt große Emailzifferblätter auf ihren Stubenuhren, die bleiben ewig weiß. . "Da können unsere Schwarzwälder Uhren nicht mehr mithalten. , mußte ein Uhrenspeditör zugeben, die Papierzifferblätter vergilben, werden wellig, und die Farben verblassen..

Laurenz hatte aufmerksam zugehört. Ein Satz blieb haften: "Die bleiben ewig weiß.. Schon auf dem Heimweg wußte er, aus lackiertem Metall oder gar aus dem porzellanartigen Email konnten die neuen Schilder nicht sein, das wäre viel zu teuer, denn Schwarzwalduhren mußten billig sein. So blieb also nur noch Holz als Material, aber nicht das teure Lindenholz der Schnitzer, sondern billiges Fichtenholz.

Und nun begannen die harten drei Jahre im Leben des Laurenz Winterhalder. In seiner spärlich bemessenen Freizeit machte er Versuche um Versuche. Lange sah er keinen Fortschritt. Seine Holzschilder bekamen Risse, das Holz verband sich nicht mit der Kreideauflage, Lackteilchen sprangen ab, die Farben verloren ihre Leuchtkraft. Doch am schlimmsten war, das anfangs helle Weiß verwandelte sich rasch in ein häßliches Gelb. Unterstützung fand Laurenz bei seinem Freund, einem Schildmacher, der ihm die Musterschilder erst einmal zur Verfügung gestellt hatte. Zeichnen lehrte ihn Pater Joseph vom Kloster Sankt Peter. Dort gab es bisweilen auch Farbproben umsonst, denn in einem Kloster wurde ständig gemalt und ausgebessert. Zudem hatte auch Abt Steyrer Verständnis für die Sorgen eines jungen Handwerkers. Ermuntert hat ihn immer wieder seine Theres, wenn er der so nutzlosen Plackerei am Feierabend müde war.

Doch endlich war es soweit, seine Uhrenschilder machten jetzt etwas her. Als Laurenz eines Nachmittags mit einem Bündel unter dem Arm vor dem Nachbarhaus stand, wußte die Bäuerin gleich: Heute ist ein besonderer Tag. Ruhig ersetzte Laurenz bei der Stubenuhr das fleckige, verblaßte Papierschild durch sein eigenes Lackschild. Man merkte den Unterschied recht deutlich, fast so, als ob im Raum ein Licht angezündet worden wäre. Die Bäuerin stellte ihm ein Speckvesper auf den Tisch und schenkte gar noch einen zweiten Schnaps ein, "wirst ihn brauchen können. , meinte sie.

Endlich kam der Hintertalbauer in die Stube. Er warf einen kurzen Blick auf Frau und Tochter in der Ecke, einen längeren auf den gelassen dasitzenden Nachbarsohn, und schaute dann die Uhr an. Im Schildbogen oben war sein Hof abgebildet samt dem Türmchen der Kapelle, aus den Ecken strahlten vier rote Rosen und in der Mitte des Zifferblatts stand die Zahl 1788. Dann drehte sich der Bauer um, brummelte seiner Tochter zu "wenn Du ihn noch magst. und verließ die Stube.

Wenige Monate später wurden im Gewerbshäusle nebenan von dem jungen Ehepaar nur noch Lackschilder hergestellt. Als bald ein Anbau nötig wurde, streckte der Bauer das Geld vor, gegen guten Zins, versteht sich. Theresa hat aufgeschrieben, wie viele bemalte Uhrenschilder im Laufe der Jahre die Werkstatt verließen: über 20.000, die in 14 verschiedene Länder reisten. Uhrenschilder aus dem Hintertal waren ihrer Haltbarkeit und ihrer leuchtenden Farben wegen gesucht auf dem Wald. Sie hingen in den Stuben von London und Paris, in russischen Dienerzimmern ebenso wie in Werkstätten spanischer Handwerker.

Das Schildermalen wurde bald zu einem blühenden Schwarzwälder Gewerbe, aber den Weg dahin hatte der Laurenz Winterhalder vorgezeichnet, weil er unbedingt seine Theres heiraten wollte und zuvor den Schwiegervater überzeugen mußte.

Ermuntert hat ihn immer wieder seine Theres, wenn er der nutzlosen Plackerei am Feierabend müde war.



 



Ermuntert hat ihn immer wieder seine Theres, wenn er der nutzlosen Plackerei am Feierabend müde war.