Eine alte Pilgerstätte
Wallfahrtskirche in Todtmoos
von Rudolf Schiffer

Der heilklimatische Kurort und Wintersportplatz Todtmoos im Hochtal der Wehra gehört zu den ältesten Erholungsorten des Südschwarz-

waldes. Die Gemeinde umfaßt heute 13 Ortsteile mit dem Hauptort Vordertodtmoos. Durch die wildromantischen Täler der Wehra und Murg führen gute Verbindungsstraßen an den Hochrhein nach Bad Säckingen und Laufenburg. Linienbusse fahren nach Sankt Blasien, Freiburg, Wehr und Zell im Wiesental, das nächste Bahnstation ist. Höchste Erhebung ist der 1263 Meter hohe Hochkopf mit Aussichtsturm und weitem Rundblick über den Schwarzwald bis zu den Vogesen, Jurabergen und Alpen.

Die Entwicklung zum modernen Kurort begann im 19. Jahrhundert und erreichte mit der Lungenheilstätte Wehrawald einen ersten Höhepunkt. Doch schon viel früher gab es den Wallfahrtsort Todtmoos mit seiner berühmten Kirche "Unserer Lieben Frau. . Im frühen Mittelalter nannte man die von Mooren und Bächen durchzogene Wildnis "Totes Moos. , weil sie von Menschenhand noch unberührt war. Daraus entstand Todtmoos, wie aus "Tote Aue. Todtnau. Im Jahre 1255 soll in diesem Toten Moos zwischen aufwallenden Nebeln dem Leutpriester Dietrich von Rickenbach die Gottesmutter erschienen sein und ihm aufgetragen haben, hier eine Kapelle zu bauen.

Bald darauf wurde auf dem Schönbühl, zwischen Wehra und Todtenbach, eine hölzerne Kapelle als Gnaden- und Pilgerstätte im Wald errichtet, die auch erste Ansiedler anzog. Unter Rudolf von Habsburg entstanden Rodungsflächen für die bäuerliche Bewirtschaftung. 1268 wurde die Holzkapelle durch einen steinernen Bau ersetzt und vom Konstanzer Bischof zur Pfarrkirche erhoben. Die An-

siedlung wuchs rasch, so daß die Kirche schon um 1300 erweitert werden mußte. Als die Pfarrei 1319 von den Habsburgern als Schenkung an die Benediktiner

Abtei Sankt Blasien kam, erlebte sie als Wallfahrtsort eine erste Blütezeit. Mit Stiftungen und Opfergaben wurde die Kirche immer prächtiger ausgestattet.

1504 richtete das einflußreiche Kloster Sankt Blasien in Todtmoos ein Priorat ein, so daß die Wallfahrt noch größere Bedeutung erhielt. Ströme von Pilgern wanderten vom Rhein, aus der Schweiz, dem Elsaß, Basel und Freiburg zum Gnadenbild der Gottesmutter von Todtmoos, besonders in Zeiten der Not, wenn Krieg und Pest die Menschen bedrohten. Für viele Orte und Städte wurde die Wallfahrt zur Tradition, wie etwa für die Hornusser aus dem schweizerischen Fricktal, die noch heute den 100 Kilometer langen Hin- und Rückweg zu Fuß machen. Einen der größten Pilgerzüge nach Todtmoos unternahmen die Basler 1439, als in der Stadt die Pest wütete. Über 1000 Personen wurden von 22 Priestern angeführt. Im 16. Jahrhundert erlebten die Wallfahrten durch die Reformation einen ersten Niedergang, aber im 17. und 18. Jahrhundert stiegen diese Prozessionen wieder an. Einer der prominentesten Wallfahrer war Herzog Karl V. von Lothringen, der in der Gefolgschaft des Kaisers 1678 gegen die Franzosen zog, um sie aus dem Hochrheingebiet zu vertreiben. Während des Marsches seiner Truppen von Freiburg über den Schwarzwald besuchte er die Wallfahrtskirche in Todtmoos und versprach vor dem Gnadenbild eine ansehnliche Stiftung. Nach erfolgreichem Feldzug hielt er sein Versprechen und spendete 2000 Gulden. Abt Romanus von Sankt Blasien ließ davon unter anderem eine Silbertafel anfertigen, die den Aufenthalt der kaiserlichen Truppen mit Karl V. von Lothringen darstellt. Diese Tafel befindet sich heute im Kunsthistorischen Museum in Wien.

Todtmoos wurde auch ein beliebter Trauungsort für Brautpaare aller Gesellschaftskreise und ist es bis heute geblieben. Neue Einbußen der Wallfahrten gab es, als der reformerische Kaiser Joseph II. (1767 bis 1790) den Thron bestieg und unter seinen Untertanen zuviel Frömmigkeit argwöhnte. Die Wallfahrten beeinträchtigten die Feldarbeit und förderten unterwegs die Unsittlichkeiten, hieß es bei Hofe. Noch schlimmer kam es, als 1807 die Abtei Sankt Blasien aufgelöst wurde, und die Mönche nach Kärnten abwanderten. Auch die Behörden des Kantons Aargau versuchten, die Wallfahrten nach Todtmoos zu unterbinden, weil damit zuviel Geld ins Ausland getragen würde. 1829 sperrten sie sogar die Rheinbrücke in Laufenburg und ließen Pilger verhaften.

Aber der Wille zur Wallfahrt war stärker als alle Hindernisse. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts an wurde der beginnende Kurbetrieb mit den Wallfahrten koordiniert, die nun unumstößlich ein lebendiger Teil der alten Pfarrei und Gnadenstätte wurden, bis in unsere Tage hinein. Die Wallfahrten nahmen ständig zu. 1974 zählte man 37 Pilgergruppen, acht Jahre später waren es bereits 82.

Auch die Zahl der Einzelpilger mit ihren Familien tendiert nach oben. Noch immer kommen die Hornusser und viele Pilger aus der Umgebung zu Fuß.

Im modernen Wallfahrtstourismus reist man von weit her mit Personenwagen und Bussen an. Zu allen Zeiten waren die Wallfahrten nicht nur fromme Bittprozessionen. Es ging unterwegs auch lustig zu, wenn es die Situation erlaubte. Die Unterbringung und Versorgung der Pilger war für die Todtmooser seit alters her eine zusätzliche Einnahmequelle. Urkundlich nachgewiesen, baute man 1640 am Aufgang zur Wallfahrtskirche die ersten Verkaufsstände auf. Sie wurden von der Gemeinde finanziert und an bedürftige Bürger als kleiner Nebenverdienst vergeben. Nach Jahren des Verfalls richtete man 1979 diese historischen Wallfahrtsstän-de wieder auf. Nach altem Rezept wurden für die Pilger besondere Lebkuchen gebacken und an den Ständen verkauft. Deshalb hatten die Todtmooser im Volksmund bald den Spitznamen "die Lebküchler. weg. Heute gibt es diese Lebkuchen mit Gewürzen und Honig in den Bäckereien des Ortes das ganze Jahr über in rechteckigen und Herzformen. Sie sind lange haltbar und bleiben locker und knusprig.

Fährt man, von Sankt Blasien kommend, nach Vordertodtmoos hinein, so springt die hübsche Wallfahrtskirche mit den zwei Türmen und der Turmuhr dem Besucher sofort ins Auge. Noch immer beherrscht sie den überragenden Platz auf dem Schönbühl. Im Laufe der Jahrhunderte wurde sie oft erneuert und erweitert. Eine durchgreifende Neugestaltung gab es von 1770 bis 1778 unter Fürstabt Martin Gerbert. Ähnlich wie

im wunderbaren Dom von Sankt Blasien spürt man in der kleineren Marienkirche seine künstlerische Mitgestaltung und die seines Baumeisters F. J. Salzmann. Beide legten Wert auf eine schlichte Eleganz des Innenraums und verzichteten auf eine barocke Überladung, die der Andacht entgegenwirken konnte. Wand- und Deckengemälde, die das Leben Jesu und Marias darstellen, sind von feinen Stuckarbeiten umrahmt.

Eine Erweiterung und ein Turmneubau erfolgten 1927. Die gesamte Außenfassade wurde 1988 renoviert, so daß die Kirche heute als bauliches Schmuckstück den ganzen Kurort ziert. Das reich dekorierte Hauptportal im Renaissancestil ist von einem arkadenartigen Vorbau geschützt. Es wird von zwei Erzengeln bewacht. In der Mitte sieht man das Klosterwappen, flankiert von den Büsten der Heiligen Benedikt und Blasius. In der gediegenen, feierlichen Ausstrahlung des Kirchenschiffes sollen sich Himmel und Erde berühren. Im zentralen Blickfeld steht der Hochaltar mit dem Gnadenbild der Gottesmutter, einer Holzplastik, die um 1390 entstanden ist. Mit schmerzerfülltem Antlitz schaut Maria auf die Gläubigen herab. Im einfallenden Sonnenlicht wirkt alles noch verklärter. Und wer allein ist in der Stille des Gotteshauses, spürt um so mehr die Nähe der himmlischen Mächte.

Die zierliche Rokokokanzel von Pfluger zeigt Darstellungen, die den Prediger auffordern, den Menschen die frohe Botschaft zu verkünden. Nicht weniger eindrucksvoll sind die Seitenaltäre und die integrierten Kapellen Sankt Anna und Sankt Blasius. Das große Orgelwerk mit Goldverzierungen vor dem hellen Hintergrund und mit zarten Ornamenten wurde 1966 neu gestaltet. Den Orgelklang erweiterte man 1986 um Glockenspiel, Nachtigall und Zimbelstern.

Alljährlich stattfindende Wallfahrten sind der Große Frauenwallfahrtstag am 26. Juli (Annatag), der Große Männerwallfahrtstag am zweiten Sonntag im September und der Maria-Himmelfahrts-Tag am 15. August als Hochfest der Schutzpatronin mit Gottesdiensten und Lichterprozession am Abend. Außerhalb dieser Zeiten steht die Kirche natürlich stets allen Besuchern offen, auch wenn der Winter im Hochschwarzwald seinen Einzug gehalten hat, und rund um Todtmoos der Skisport ausgeübt wird. Ein Höhepunkt ist das alljährlich stattfindende Schlittenhunderennen von internationalem Rang. Kaum ein Wintersportler vergißt dabei den Besuch der alten Wallfahrtskirche.



 



Robert Gerwig (1820 1885), Leiter der Furtwanger Uhrmacherschule von 1850 bis 1857 und Planer der Eisenbahn über den Schwarzwald.


Gebäude der alten Uhrmacherschule 1850/63 (aus Festschrift der Schule von 1950)


Schwarzwälder Wanduhr der neueren Richtung um 1870; Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen.


Schwarzwälder Wanduhr der neueren Richtung um 1870; Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen.