Libellen von Larven zu Flugkünstlern
von Hans Werner Krafft

Wenn die Entwicklung von Hubschraubern einst durch den Flug der Libellen inspiriert worden wäre, erschiene diese von Menschenhand geformte Nachahmung geradezu als stümperhaft. Nicht nur die vertikale wie horizontale Manövrierfähigkeit der Libelle, sondern auch der rasche Übergang vom Verharren im Schwebeflug zur totalen Beschleunigung sind unnachahmbar. Es lohnt sich wahrlich, diese Akrobaten der Lüfte in der Natur einmal bewußt zu beobachten.

Wie Fossilienfunde belegen, dürfte die Libelle bereits vor 250 Millionen Jahren im Erdaltertum, dem Paläozoikum, entstanden sein. In unserer Zeit mußte man um das nahezu unverändert aus der Urzeit sich ableitende Insekt bangen, und ihr Anblick war selten. Insektizide und Pestizide, der Verlust zahlreicher Feuchtgebiete ließen das flächendeckende Aussterben vieler Libellenarten befürchten. Zwar weltweit in Bestand und Artenvielfalt bereits kräftig dezimiert, scheint sich zumindest bei uns ein zaghafter Wandel abzuzeichnen. Natur ist in gewissen Maßen regenerationsfähig, und mit der Schaffung zahlreicher Biotope gerade in unserem Raum, Renaturierung von Fluß- und Bachläufen sowie der Stillegung landwirtschaftlicher Nutzflächen beginnen sich die Bestände robusterer Arten zu erholen; die düsteren Prognosen hellen sich etwas auf. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß andere Libellenarten nach wie vor als stark gefährdet gelten, wenn nicht gar ausgestorben sind.

Fünf Jahre verbringt die unscheinbare Libellenlarve verdeckt im Bodenschlamm oder an Pflanzen geheftet im Wasser von Tümpeln, Teichen, Seen oder Fließgewässern, und nichts läßt ahnen, welch prächtiges Geschöpf sich eines Tages daraus entwickeln wird. Die Libelle ist ein räuberisches Insekt, und auch hier in ihrer Kinderstube entwickelt sie eine überaus listenreiche Überlebensstrategie. Eine mit kleinen Enterhaken bewehrte Fangmaske kennt für kleines Getier, ob Mücke, Flußkrebs oder Kaulquappe kein Erbarmen. Gefräßigkeit fördert Wachstum, und während dieser Unterwasserperiode häutet sich die Larve mehrfach.

Deren letzte Phase, der Wechsel vom Wasser aufs Land und der Start in die Lüfte darf als ein wahres Meisterwerk der Natur bezeichnet werden. Als graubraunes Etwas an einem Binsen- oder Schilfstengel geheftet, vollzieht sich dort binnen Stunden der Wandel zum Fluginsekt. Als ob sie alte Kleidung abstreifte, zwängt sich die Libelle während des Häutungsvorganges aus dem Rückenspalt der Larve. Das Insekt ist von dieser Entkleidungsprozedur sichtlich erschöpft, und noch ist von der späteren Farbenpracht nichts zu sehen. Die in das Geäder gepumpte Körperflüssigkeit läßt die Flügel jedoch allmählich zur vollen Spannweite entfalten. Die warmen Strahlen der Sonne bewirken ein übriges: das Gewebe trocknet und der farbliche Wandel zum klaren, durchsichtigen Tragflügel vollendet sich.

Die letzte Phase einer Libelle, das Leben zu Land und in der Luft, dient ausschließlich der Fortpflanzung und dauert nur zwei bis drei Monate. Vom Jungfernflug an wird es für die Beobachter richtig interessant. Selbst der Laie kann nun nach Größe, Farbe und Flügelstellung zumindest die häufiger auftretenden Exemplare beobachten und unterscheiden. Behalten die braun und grün gefärbten Großlibellen auch in der Ruhephase ihre Flügel ausgebreitet, sind sie bei der Gebänderten Prachtlibelle hinter dem Rücken wie ein Segelpaar, signalhaft aufgerichtet. Besonders auffallend sind auch die großen, wabenartigen Facettenaugen. Sie erlauben ein gegenüber dem Menschen weit höheres Wahrnehmungsvermögen. Fotofreunde wissen ein Lied davon zu singen, wie schwierig es ist, sich mit der Linse einer ruhenden Libelle bis auf Tuchfühlung zu nähern. Lediglich in der Morgenkühle, beim Paarungsakt oder bei der Eiablage ist der Bewegungsdrang dieses Kunstfliegers etwas eingeschränkt.

Mit der Eiablage, ob im Sumpf, in Pflanzenstengeln oder auf der freien Wasseroberfläche, ist der Lebenszweck der Libelle erfüllt. Der Kreislauf der Natur nimmt seinen Lauf, ja, wenn der Mensch sich nicht gerade daran machte, die Moor- und Riedflächen, die Bachläufe oder Weiher trockenzulegen. Das im heimischen Garten angelegte Planschbecken für Zierfische und Amphibien ist nur Alibi und bietet Libellen keinen Ersatz.


 




Die braun und grün gefärbten Großlibellen behalten in der Ruhestellung die Flügel


Die Gebänderte Prachtlibelle hat ihre Flügel in Ruhestellung signalhaft aufgerichtet.


Bei der Paarung bilden die Libellen ein "Paarungsrad. .


Zum Lebensraum der Libellen zählen auch die Auwaldgewässer am Rhein.