Der Marienkäfer Glücksbringer oder Monster?
von Hans Werner Krafft

Gefräßig sind sie, die kleinen Roten mit den schwarzen Punkten, ebenso verfressen wie ihre dunkelblauen Larven. Gärtner schätzen sie aus diesem Grunde, haben kluge Wissenschaftler doch herausgefunden, daß eine Larve während ihrer kurzen Entwicklungszeit über 3000 Schildläusen den Garaus macht, der erwachsene Käfer bringt es in einem Sommer gar auf reichlich 800 genüßlich vertilgter Blattläuse.

Doch nicht nur Kleingärtner mögen die knallig bunten Krabbeltiere. Als sich anno 1890 die Orangenschildlaus anschickte, die Zitrusplantagen im sonnigen Kalifornien zu zerstören, als die Far-mer dem Ruin schon nahe waren, fand ein deutscher Forscher heraus, daß im fernen Australien die Marienkäferart Rodolia cardinalis die Orangenläuse streng in Schach zu halten vermag. Seit-her züchtet man die Käfer in den USA und entläßt sie zu Millionen in die gefährdeten Obstplantagen - die Farmer sind ihre Sorgen los.

Doch noch anderes fanden fleißige Forscher heraus - ein Monster nämlich soll er sein in Sachen Sex, der Kleine mit den frechen Punkten. Gierig, geradezu unersättlich, stellen die Männchen den weiblichen Käfern nach, über viele Stunden hält ein solcher Macho die Partnerin mit zierlich scheinenden, doch eisenharten Klauen gepackt, und manches Weibchen läßt sein Leben in tödli-cher Umarmung. Sogar Geschlechtskrankheiten sollen wüten unter den Gepunkteten, ist Partnerwechsel in äußerst schneller Folge doch an der Tagesordnung.

Einige Tausend Arten krabbeln weltweit durch Blattwerk und Kraut, 80 sind in Europa bekannt. Marienkäfer unter schwarzen, gelben oder grünen Flügeldecken, Krabbeltiere mit zwei, mit fünf oder sieben, mit schwarzen, roten oder weißen Punkten. Der Siebenpunkt mit den typischen sieben schwarzen Punkten auf leuchtend roten Flügeldecken ist der bekannteste, der beliebteste, er ist der Marienkäfer schlechthin. Eben dieser Bekanntheitsgrad gab dem kleinen Kerl viele volkstümliche Namen. "Herrgottskäfer" oder "Herrgottskühlein" nennt man ihn in mancher Region, anderenorts heißt er "Sonnenkälbchen" oder auch "Gottesschäfchen". Als Glücksbringer steht er in gutem Ruf, und die Legende überliefert, daß er zu den Lieblingstieren der Gottesmutter zählt, nomen est omen - "Marienkäfer"!

Also doch kein Monster? Friedlich ist der kleine Kerl sicherlich, auch recht niedlich anzuschauen. Heiße, trockene Sommer aber führen wieder und wieder zu explosionsartiger Blattlausvermehrung - entsprechend rasch vermehren sich die Käfer. 1976 und 1989 kam es zum Masseneinflug der friedlichen Käfer an deutschen Küsten, unterstützt durch anhaltende südliche Winde. Millionen krabbelten auf Promenaden und gepflegten Kurparkwegen. Hunderttausende schwirrten durch Hotels und Pensionen. "Unsere Kurgäste flüchten", so lamentierte eine Lokalzeitung: "Jetzt greifen sie an", so titelte eine andere.

Der kleine Rotrock bringt es auf sechs bis acht Millimeter Länge. Unterseite, Kopf und Halsschild glänzen lackschwarz, charakteristisch sind nicht nur die sieben schwarzen Punkte auf roten Flügeldecken, sondern auch die beiden weißen Tupfen, die sein Halsschild zieren. Droht Gefahr, versteckt der Winzling zunächst den Kopf unter dem Halsschild, alsdann stellt er sich tot, läßt sich fallen und rührt sich nicht vom Fleck. Auch versucht er, Angreifer mit gallebitterem, safrangelbem Sekret zu schrecken, das viele Feinde gar nicht mögen - mit einem Narkoticum, das einstmals auf dem flachen Lande gegen bohrenden Zahnschmerz eingesetzt wurde. Doch alle Taktik hilft ihm nicht, wenn er in heimtückisches Spinnennetz surrt oder hungrigen Vögeln vor den Schnabel schwirrt.

Passiert dergleichen Ungemach ihm nicht, dann lebt er rund zwölf Monate. Die kalte Jahreszeit verbringt er unter Steinen und Hölzern, in Ritzen und Fugen auf Dachböden oder in Gartenhäusern, Ställen und Scheunen. Anfang Mai erfolgt die erste Paarung, wenig später legen die Weibchen einige hundert Eier, kleben selbige an Stengel und Blätter in der Nähe von Blattlauskolonien und überlassen sie ihrem Schicksal. Nach zehn Tagen schon schlüpfen die Larven, die sogleich mit der Blattlausjagd beginnen. Dreimal in wenigen Wochen muß das Käferkind sich häuten, denn seine Körperhülle aus Chinin hält seinem Wachstum nicht stand. Alsbald erfolgt - gut getarnt an einem Pflanzenstengel - die Puppenruhe, in aller Stille alsdann das Wunder der Metamorphose. Der Larvenkörper löst sich auf, aus dem Zellbrei wächst das fertige Insekt. Zwei Wochen nur dauert die Umwandlung, dann schlüpft der Käfer, mattgelb zunächst, ohne Punkte und satte Färbung. Ein kurzes Sonnenbad aber zaubert alsbald die typischen Tupfen und die knalligen Farben herbei.

Erst in dieser Warntracht traut der Kleine sich ins feindliche Leben, er klappt die Deckflügel auf, breitet die darunter ver-steckten Hinterflügel und surrt mit 90 Flügelschlägen in der Sekunde hinaus in Feld und Flur.



 



80 Arten des Marienkäfers sind in Europa bekannt. Der mit sieben Punkten gilt als Marienkäfer schlechthin.


80 Arten des Marienkäfers sind in Europa bekannt. Der mit sieben Punkten gilt als Marienkäfer schlechthin.


Nach wenigen Wochen verpuppt sich die Larve und wartet auf das Wunder der Metamorphose. Nach zwei Wochen schlüpft der Marienkäfer aus.