Das wahre Bildnis des Johann Sebastian Bach
von Brigitte Squarr

Noch vor wenigen Jahrzehnten galt der Geburtsort des Porträtmalers Elias Gottlob Haußmann als unbekannt. Inzwischen weiß man, daß er in Gera zur Welt kam, dort am 18. März 1695 getauft wurde. Der Vater des Jungen war der künstlerisch talentierte Kaufmann Elias Haußmann, der von Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt zum Hofmaler berufen worden war. In einem Empfehlungsschreiben dieses Hofes vom 15. September 1717 wird Elias Gottlob erstmals offiziell erwähnt. Ihm wird als "Unser Hofmalers Sohn" ebenfalls eine Anstellung bescheinigt und daß er sich auf einer Art Studienreise befände, um sein Können in wechselnder Umgebung zu erweitern. Haußmann, bisher ausschließlich Schüler seines Vaters, lernte während seiner Wanderjahre in Dresden beim Maler Manyoki und bei F. C. Rusca aus Lugano.

1723 wurde Elias Gottlob Haußmann der Titel des kurfürstlich-sächsischen und königlich-polnischen Hofmalers verliehen. Zwei Jahre später lebte er in Leipzig. Immer wieder geriet er dort mit der Malerinnung in Streit. Die Kollegen neideten ihm anscheinend seine ungewöhnliche Beliebtheit. Es war zu jener Zeit in Mode, Innungsmitglieder, Ratsherren, Professoren, kurz Menschen von Rang und Namen, porträtieren zu lassen und die Gemälde in den entsprechenden Räumlichkeiten auszuhängen. Haußmann malte nicht nur die Herren verschiedener Innungen, auch städtische Behörden, Musiker, Universitätsprofessoren und Geistliche traten an ihn heran. Wie Georg Müller im Allgemeinen Lexikon der bildenden Künstler formulierte, glich Haußmanns Atelier "in Zeiten der Hochkonjunktur einer Bilderfabrik". Und er fügte bedauernd hinzu, daß die Qualität unter solcher Quantität litt.

Plötzliche Aufmerksamkeit errang der Künstler in diesem Jahrhundert, als Anfang der 50er Jahre Hans Raupach die Entdeckung eines weiteren Haußmann-Bildnisses von Johann Sebastian Bach, der vor 250 Jahren verstarb, publizierte. Das Bild gleicht dem bekannten und anerkannten Haußmann-Gemälde von Johann Sebastian Bach aus dem Jahre 1746, das sich heute im Leipziger Stadtmuseum befindet. Unbestritten gilt dieses Bild wegen mehrerer Restaurierungen und seiner Übermalung als "entstellt". Das von Raupach wiederentdeckte Bild stammt aus dem Jahre 1748. Lange Zeit war es im Besitz der Familie seines Freundes Walter Jenke, der in den 30er Jahren nach England ging und sich das Bild nachschicken ließ. 1953 verkaufte er es an einen Kunstliebhaber aus Princeton/USA.

Raupach vermutete, daß dieses spätere Bildnis eine Wiederholung des ersten darstellt, aus welchem Grund auch immer. Bei seiner Beweisführung wurde Raupach von Professor Friedrich Smend, einem Bach-Forscher aus Berlin, unterstützt. Er half auch beim Entschlüsseln der auf der Rückseite des Bildes befindlichen Aufschrift: "H. Johan Sebastian Bach C. M. / Dir.: Mus: Lips: / Hausman pinx: Lips: 1748". Demnach steht das "H" in der ersten Zeile vor dem Namen für "Herr" und die Abkürzung "C. M." bedeutet "Capellae Magister", was mit "Kapellmeister" übersetzt werden kann. Die zweite Zeile bezeichnet den Arbeitsplatz näher: "Musikdirektor in Leipzig" (Lipsiensis) und die dritte Zeile gibt über den Maler Aufschluß. "Hausmann, Leipzig: 1748".

Diese Signatur auf der Bildrückseite - das Wiederauffinden von Haußmann-Gemälden wurde besonders durch seine Angewohnheit des Signierens erleichtert - und die Tatsache, daß der Urgroßvater des damaligen Besitzers dieses in einem "Kuriositätengeschäft" erwarb, führten Professor Smend auf die Spur der Herkunft des Bildes. Im Nachlaß des 1714 in Hamburg verstorbenen Bach-Sohnes Carl Philipp Emanuel ist ein Bildnis seines Vater aufgeführt, dessen Beschreibung mit der Signatur des 1748er Bildes auffallend identisch ist. "Bach (Johann Sebastian); Kapellmeister und Musikdirektor in Leipzig. In Öl gemalt von Hausmann, zwei Fuß, acht Zoll hoch, zwei Fuß, zwei Zoll breit. Im goldenem Rahmen." Diesen Rahmen wies das in Jenkes Besitz befindliche Bildnis ebenfalls noch auf. Die in Hamburger Fuß angegebenen Maße entsprachen umgerechnet 76,4 mal 62,1 Zentimeter: bis auf wenige Millimeter die Größe des wiederentdeckten Gemäldes.

Aus dem Nachlaß von C. P. E. Bach muß das Bild an einen ehemaligen Bach-Schüler, J. Ch. Kittel, nach Erfurt gekommen sein. Die Beschreibung des Bildes im Nachlaß Kittels stimmt mit der aus dem Nachlaß Bachs wörtlich überein. Lediglich der Name des Malers fehlt und die Maße sind in preußischen Fuß angegeben. Mit Kittels Nachlaßverzeichnis von 1809 beginnt aber die Lücke, die sich heute nicht mehr schließen läßt. Dem Testament Kittels zufolge soll das Gemälde über der Orgel der Predigerkirche in Erfurt gehangen haben. Im Krieg gegen Napoleon wurde das Gotteshaus, wie viele andere, als Lazarett benutzt. Und in dieser Zeit verschwand es. Es wurde erzählt, es sei nebst anderen Gemälden "an Trödler verkauft" worden. Die Lücke schließt sich in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts, als besagter Urgroßvater Jenkes das Bild bei einem Kuriositätenhändler erwarb. - Oder sollte man "Trödler" sagen?

Die Forscher Raupach und Smend brachten weitere Beweise für die Authentizität des Gemäldes. Sie wiesen nach, daß sowohl das für Prinzessin Amalia von Preußen angefertigte Bach-Porträt, als auch der Stich von S. G. Kütner, Kopien des Haußmann-Bildes von 1748 waren.

Ein Kapitel der Geschichte umschreiben und ein hervorragend gearbeitetes Gemälde einem Maler zusprechen, dem man eine mangelhafte Qualität in den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts nachsagte, stößt auf Widerstand, auch wenn die Fakten klar auf der Hand liegen. Dieser Umstand brachte Hans Raupach 1982 mit einer neuerlichen Veröffentlichung auf den Plan. Möge sie denen, die so lange nach dem wahren Aussehen des großen Thomaskantors forschten, die Augen für "Das wahre Bildnis des Johann Sebastian Bach" öffnen.



 



Das nicht anerkannte Bach-Bildnis, das sich in den USA befindet. Es zeichnet sich durch erkennbar feinere Gesichtszüge und die akkurate Ausarbeitung einer zweiten Knopfleiste aus. (Repro aus "Das wahre Bildnis des J. S. Bach" von Hans Raupach, Karthause Verlag, München)


Das anerkannte Bildnis Johann Sebastian Bachs.