Erfolg statt Unsterblichkeit
Charlotte Birch-Pfeiffer vor 200 Jahren geboren
von Brigitte Squarr

Unterhaltung war das Wort, das sich Charlotte Birch-Pfeiffer ganz oben auf die Fahne geschrieben hatte. Sie wollte ihr Publikum unterhalten, den Theaterbesuch zu einem Erlebnis machen, als Gegenpol zum schnöden Alltag. Das war ihr gelungen - sehr zum Leidwesen der Literaten.

Der Geschmack des Publikums entzieht sich der Kritik, entmachtet die Herren mit der spitzen Feder. Heinrich Heine erkannte dies, bedauernd, doch ohne erhobenen Zeigefinger. "Diese Leute haben bestimmte Bedürfnisse, deren Befriedigung sie vom Dichter verlangen.. Und er verglich die Theatergäste mit einem Hungernden, der in einem Sack statt der erhofften Erbsen nur Perlen fand. "Das Publikum verspeist mit Wonne des Herren Raupachs dürre Erbsen und Madame Birch-Pfeiffers Saubohnen; Uhlands Perlen findet es ungenießbar..

Schon als Kind entwickelte sich bei der am 23. Juni 1800 in Stuttgart geborenen Charlotte eine Leidenschaft für das Theater. Der Vater, Ferdinand Friedrich Pfeiffer, ein Schulkamerad Schillers und Freund klassischer Dramen, erblindete 1809. Von nun an las ihm Charlotte vor. Bevor sie jedoch den Wunsch, Schauspielerin zu werden, in die Tat umsetzen konnte, waren einige Kämpfe zu bestehen, um die Eltern vom Vorurteil gegen die Theaterwelt zu lösen. 13jährig stand sie am 13. Juni 1813 erstmals als Prin-zessin Thermutis in "Mosis Errettung. auf der Bühne des Münchener Isartor-Theaters. Die Kritik nahm dieses Debüt wohlwollend zur Kenntnis, und nach einer Ausbildung bei Hofschauspieler F. A. Zuccarini trat Demoiselle Pfeiffer 1818 ihr erstes Engagement am Münchener Hoftheater an.

Charlotte Birch-Pfeiffer war eine ruhelose, stets neue Aufgaben suchende Persönlichkeit. Sie unterbrach häufig ihre festen Engagements zugunsten ausgedehnter Gastspielreisen. Das änderte sich auch nicht nach ihrer Heirat mit dem dänischen Schriftsteller Christian Andreas Birch, den sie auf solch einer Tournee in Hamburg kennenlernte.

Es ist nicht ganz einfach, sich ein realistisches Bild ihrer schauspielerischen Qualitäten zu machen. Die Aussagen der Zeitgenossen über ihr Spiel und ihre äussere Erscheinung stehen teilweise im Widerspruch zu den Erfolgen, die sie zweifellos errang. "Wie ein riesenhafter, mit Menschenstimme begabter Frosch. , beschrieb Hebbel 1851 Charlotte Birch-Pfeiffer. Sie war groß gewachsen und schwer gebaut, mit herbem Gesicht, aus dem die Augen wenig schmeichelhaft hervortraten. Ihre starke und tiefe, beinahe männliche Stimme erschien manchem schlecht ausgebildet, da Birch-Pfeiffer sie anscheinend nicht immer unter Kontrolle hatte. Dazu gesellte sich eine lebhafte, leicht aufbrausende Natur, die sie auch auf der Bühne kaum zügeln konnte. Ihr Temperament ließ sie beim Agieren jegliches Maß verlieren, was zu der immer wieder kritisierten "grellen Spielweise führte.

Ihr Erfolg auf der Bühne hing daher unmittelbar mit der ihr anvertrauten Rolle zusammen. Verlangte die Rolle nach einer leidenschaftlichen Darstellung starker Gefühle, feierte Birch-Pfeiffer -Triumphe, wie in Grillparzers "Medea. . Es lag auf der Hand, daß, als Birch-Pfeiffer, von ihrem Mann ermutigt, erst einmal mit dem Schreiben begonnen hatte, sie sich die für ihr Naturell raren Rollen auf den Leib schrieb. Verständlich, daß es in diesen Stücken von Effekten nur so wimmelte. Sie schrieb so grell, wie sie spielte, und das Publikum war begeistert. "Die Birch-Pfeiffer'schen Stücke haben alle ein gleiches Schicksal; die Kritik weist das Nichtige, Unästhetische jedesmal unwiderleglich nach, das Publikum sieht dies wohl ein, aber es unterhält sich köstlich.... lautete eine - keinesfalls neidlose - zeitgenössische Kritik.

Niemand, auch nicht die Kritiker, sprachen ihr ein umfassendes Wissen um dramaturgische Handhabe ab. Sie kannte alle zur Verfügung stehenden Mittel und wandte sie an. Klare Trennung von Gut und Böse sowie das Happy End standen von vornherein fest. Bewußt setzte sie sich über die Regeln der gehobenen Literatur hinweg, um einzig das theatralisch Wirksame herauszuarbeiten. Das galt nicht nur für ihre Originalschauspiele, sondern auch für die von ihr bearbeiteten Romanvorlagen, die sie mit sicherem Geschick auswählte. Werke von George Sand, Berthold Auerbach, Victor Hugo und Alexandre Dumas befanden sich darunter.

Acht bis 14 Tage schrieb sie an einem Werk, dann kam es zur Aufführung. Das galt besonders für die Zeit, da sie das Stadttheater in Zürich leitete und den Spielplan festlegte. Es gab keine Reifezeiten für die Stücke, in der sie über Inhalt und Figuren hätte nachdenken können, um diese prägnanter auszuarbeiten. Schreiben und aufführen, beides binnen kürzester Zeit. Und wurde das Schauspiel ein Mißerfolg, schrieb sie ein neues.

So entstanden im Laufe ihres Lebens 74 Schauspiele. Die meisten füllten die Theater und demzufolge auch die Kassen. Einige wurden bis ins 20. Jahrhundert hinein aufgeführt, "Dorf und Stadt", "Die Grille. , "Waise von Lowood. . Der finanzielle Erfolg, verbunden mit der umstrittenen Beschaffenheit der Stücke, führte zu so gegensätzlichen Aussagen, Birch-Pfeiffer habe "zum Verfall. des Theaters beigetragen und gleichzeitig zu dessen "Weiterbestehen. .

Die erstgenannte Äußerung eines Zeitgenossen der Birch-Pfeiffer ist nur bedingt korrekt. Er wird weniger den Verfall des Theaters, vielmehr den Verfall einer gewissen Theaterkultur bedauert haben. Das Theater, einst nahezu ausschließlich der gebildeten Oberschicht vorbehalten, öffnete sich durch Birch-Pfeiffer verstärkt den unteren Klassen. Sie machte das Theater zu einem Konsumartikel für jedermann und indem sie Werke der Literatur konsumfähig bearbeitete, degradierte sie diese - in den Augen ihrer Kritiker - zur Unterhaltungsliteratur.

Der Erfolg der Birch-Pfeiffer, ihre Publikumsnähe, war zugleich ihr Verhängnis. So wenig der Geschmack sich der Kritik beugt, so wenig dauert er an. Einem ständigen Wechsel unterlegen, wird heute gejubelt, morgen vergessen. "Hätte sie Geist und Geschmack besessen in dem Maße, wie sie Talent besaß, sie wäre ein wichtiger dramatischer Autor geworden. Ohne solchen Geist und Geschmack freilich werden die Theaterarbeiten ihres Talentes vorübergehen, wie die Jahreszeit vorübergeht. , sandte ihr Heinrich Laube 1868 in einem Nekrolog nach. Ihr mochte es recht sein. Hatte doch Charlotte Birch-Pfeiffer schon zu Lebzeiten erklärt, daß sie nicht beabsichtige, unsterblich zu werden.



 



Die Schauspielerin, Theaterleiterin und Dramatikerin Charlotte Birch-Pfeiffer wurde vor 200 Jahren in Stuttgart geboren. Sie wollte ihr Publikum vor allem unterhalten was ihr auch vortrefflich gelang, zum Leidwesen der Kritiker. (Aus "Eine Glanzzeit des Zürcher Stadttheaters, Charlotte Birch-Pfeiffer 1837 1843. , Orell Füssli Verlag, Zürich)