Georg Herwegh starb vor 125 Jahren
Germania, mir graut vor dir!
von Brigitte Squarr

Die späten Gedichte Georg Herweghs muten an, als habe er nicht nur rückblickend und im Wissen um die Gegenwart, sondern auch vorausschauend wie ein zweiter Nostradamus zur Feder gegriffen: "...Du bist im ruhmgekrönten Morden / Das erste Land der Welt geworden: / Germania, mir graut vor dir!.

Oft wird bedauernd hinterfragt, weshalb im Laufe des Lebens vor allem die idealistischen Ziele verloren gehen. Findet sich dann aber tatsächlich einer, der seiner Überzeugung treu blieb; der sich nicht vom tagtäglichen Existenzkampf verbiegen läßt, nennt man ihn "besessen. . Georg Herwegh blieb seinen Idealen treu. Besonders als Deutschland nach der gescheiterten Revolution von einem preußischen Kaiser regiert wurde:

Ich habe für die Freiheit geschwärmt,

Ich habe mich dafür von Buben auf Gassen

Beschimpfen lassen.

Ich alter Mann sag ohne Scheu:

Ich blieb dem Gott der Jugend treu.

Seh' ich die Jünger

Der neuen Despotie,

So frag' ich: "Wer ist jünger,

Ich oder sie?

In Stuttgart am 31. Mai 1817 geboren, zeichnete Herwegh von Kindheit an körperliche und seelische Sensibilität aus. Unter der besorgten Obhut seiner Mutter stehend, litt er unter der gescheiterten Ehe der Eltern. Auf Wunsch der Mutter studierte er Theologie. So besuchte Georg das Seminar in Maulbronn und anschließend die Universität Tübingen. Dort wechselte er 1836 von der Theologie zur Rechtswissenschaft. Herwegh war jedoch bereits journalistisch tätig und brach 1837 sein Studium ab.

Um sich dem Militärdienst endgültig zu entziehen, ging er 1839 erstmals ins Exil. 1841 erschienen in Zürich die "Gedichte eines Lebendigen. . Der Erfolg des Gedichtbandes war überwältigend. Herwegh, erst 24 Jahre alt, hatte damit schon den Zenit seines Ruhmes erreicht. Nie konnte er an diesen Erfolg anknüpfen. Jugendlich überströmende Kraft kommt in dem Gedicht zum Ausdruck: "Reißt die Kreuze aus der Erden. . Das Gedicht hat noch heute etwas ungeheuer Bezwingendes; dennoch traf ihn der Spott Heinrich Heines. Dieser nahm Herwegh nie ernst und warf ihm in dem Gedicht von der "eisernen Lerche. mangelnden Realitätssinn vor. Der Name "Eiserne Lerche. haftet Herwegh bis heute an.

Herwegh war indes nicht der einzige, dem der Blick für die Realität fehlte. Besonders die Revolutionäre von 1848

standen ihm darin nicht nach. Hecker, Struve und Genossen glaubten mit zündenden Reden auf Volksversammlungen die Menschen zum Aufstand bewegen zu können. Herwegh wollte dies über seine Gedichte erreichen. Mit seinem gescheiterten Versuch, mit der Pariser Legion den unglücklichen Heckerzug zu verstär-

ken, stellte Herwegh sich endgültig ins

Abseits. Wurden seine Gedichte bis dahin noch gefürchtet, machten nun Verleumdungen die Runde, die nicht nur von Unfähigkeit, sondern auch von Feigheit zu berichten wußten.

Der Dichter zog sich ins Exil zurück, arbeitete journalistisch für Schweizer Blätter und die Berliner Zeitung "Kladderadatsch. . Aus politischen Gründen zerschlug sich im Mai 1862 die Aussicht auf eine Professur für Literaturgeschichte in Neapel. Eine zweite Hoffnung auf ein festes Einkommen als Professor für Kunstgeschichte in der Schweiz scheiterte im Februar 1866. Im gleichen Jahr kehrte Georg Herwegh nach Deutschland zurück. Eine Amnestie ermöglichte dies. Unter Entbehrungen fristeten die Herweghs in Lichtenthal bei Baden-Baden ihr weiteres Leben. Hausrat und Bibliothek waren schon in der Schweiz versteigert worden. Immer noch unangepaßt an die neuen preußischen Verhältnisse wurde dem Uneinsichtigen der Brotkorb hochgehangen.

1867 schrieb Emma Herwegh an die Schillerstiftung und bat um eine lebenslängliche Pension für ihren Mann. Es gab Stimmen, die dies befürworteten, doch die, die dem entschieden widersprachen, überwogen. Ernst Förster, Schriftsteller

in München, "hegte Zweifel... an den dichterischen Leistungen Herweghs. ; Professor Theodor Löhlein aus Karlsruhe

plagten ebenfalls Bedenken am Literaturanteil Herweghs und - da wurde es politisch - an seinem "Verhalten nach der Revolution. . Karl Bormann, Schulrat in Berlin, äußerte gar, "Herwegh war vor 25 Jahren ein Dichter. Nach meiner Ansicht ist er es nicht mehr. .

So urteilten Mitglieder der Schillerstiftung. Sollte ihnen entgangen sein, daß

Herwegh 1859 im Schweizer Auftrag einen umjubelten Prolog anläßlich der Festveranstaltung zum 100. Geburtstag des Dichters schrieb, dessen Namen die Stiftung trug? Wußten sie nicht von seinen Shakespeare-Übersetzungen? Kannten sie tatsächlich das 1863 von Herwegh verfaßte Bundeslied des Arbeitervereins "Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will. , nicht?

Am Ende der Debatte wurde Herwegh eine einmalige Zahlung von 250 Talern bewilligt. Großzügiger verhielt sich die Stiftung gegenüber dem Revolutionsdichter Freiligrath. Noch während seines Londoner Exils erhielt er 1863 und 1867 jeweils 500 Reichstaler. Nach seiner gefeierten Rückkehr nach Deutschland brachte eine Nationalsammlung unter Beteiligung der Schillerstiftung die Summe von annähernd 60.000 Talern ein. Aber um wieviel angepaßter verhielt sich Freiligrath der neuen Regierung gegenüber. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg dichtete er: "Hurra, du stolzes schönes Weib / Hurra, Germania.... , und Herwegh antwortete "Germania, mir graut vor dir!.

Als nach Herweghs Tod dessen späte Lyrik als Buch erschien, urteilte der Dichter Conrad Ferdinand Meyer, der Verstorbene habe sein "ganzes Talent bis zum letzten Atemzug bewahrt. . Julius Grosse, Schriftsteller und Mitglied der Schillerstiftung wünschte sie "am besten verbrannt. . So gegensätzlich ging es weiter. Die moderne Literaturwissenschaft beurteilt auch die späte Dichtung Herweghs durchweg positiv. Herrschten in seiner frühen Lyrik noch Allgemeinplätze und Naturmetaphorik vor, nennt das gereifte Werk den politischen Gegner und seine Vergehen gegen Freiheit und Demokratie beim Namen: "Der schlimmste Feind steht an der Spree. , die preußische Militärmonarchie. Ältere Quellen über Herwegh unterliegen überwiegend der jeweiligen politischen Tendenz. Die üppig vorhandene DDR-Literatur verhalf dem Dichter als "Sänger des Proletariats. zu posthumem Erfolg.

Georg Herwegh starb vor 125 Jahren, am 7. April 1875 in Lichtenthal. Ihm graute vor Germania so sehr, daß er nicht einmal dort begraben werden wollte. Er, der fast die Hälfte seines Lebens im Exil verbracht hatte, zog es auch im Tode vor: Auf seinen Wunsch wurde er in "freier republikanischer Erde. in Liestal in der Schweiz beigesetzt.



 



Das Grab Georg Herweghs und seiner Frau Emma auf dem Friedhof von Liestal in der Schweiz. Die Inschrift auf dem Grab lautet: "Von den Mächtigen verfolgt, von den Knechten gehaßt, von den Meisten verkannt, von den Seinen geliebt. . (Foto: Squarr)









Georg Herwegh im Jahr 1843 "Am Ufer des Zürichsees. ; Ölgemälde von Conrad Hinz. (Mit freundlicher Genehmigung des Dichtermuseums/ Herwegh-Archivs Liesthal)