Hegau-Landschaft am Rande des Bodensees
"Des Herrgotts Kegelspiel"
von Reiner Herrmann

Ludwig Finckh (1876 - 1964) war kein literarischer Hermann Hesse (1877 - 1962), obwohl beide das gleiche Fluidum einer zauberhaften Landschaft umgab, sie sich mit der kleinen Gemeinde Gaienhofen am Bodensee zeitweilig sogar den Wohnort teilten. Während die Geschicke und der Erfolg den späteren Nobelpreisträger Hesse jedoch weiter trugen, hat Finckhe die Bindung zur "Höri", dem westlichen Zipfel des Sees, bis zu seinem Tode nicht losgelassen. Mit seinen Geschichten und Erzählungen eher Heimatdichter geblieben, warb er mit seinen Schriften für diese Region, fürchtete vorhersehend aber zugleich die Auswirkungen eines überschäumenden Fremdenverkehrs. Er war aber auch, um ihn mit einem neuzeitlichen Attribut zu charakterisieren, ein früher "Grüner".

Den See schon vor Augen, dort wo die Anziehungskraft der "größten Badewanne Deutschlands" den Blick für Ebenbürtiges gänzlich zu verdrängen scheint, wachsen aus dem Eben-

maß einer sanft geschwungenen Hügellandschaft steil die Silhouetten von sieben Vulkankegeln empor. Wie Eifel und Harz sind auch diese einst feuerspeienden Schlote vor rund 60 Millionen Jahren im Tertiär entstanden. Längst zu Stein (Basalt und Phonolith) erstarrt, wirken sie heute wie ein Amphitheater der Erdgeschichte.

Wahrzeichen des Hegaus ist der Doppelgipfel des Hohenstoffeln. Am Fuße seiner nördlichen Zinne findet der Wanderer neben dem offengelassenen Steinbruch eine Gedenktafel mit der Aufschrift: "gewidmet Ludwig Finckh, dem Dichter und Hüter der Landschaft". Seinem hartnäckigen Betreiben ist es zu verdanken, daß anders als am Hewenegg - dessen Vulkankegel wurde gänzlich zu Pflastersteinen und Straßenschotter verarbeitet - der Basaltabbau am Hohenstoffeln gestoppt worden ist. Das markante Gesicht der Hegaulandschaft, des "Herrgotts Kegelspiel", wie Finckh die sieben Vulkane nannte, hatte damit zwar einige Furchen und Schrammen davongetragen, blieb aber doch im wesentlichen bewahrt.

Während unweit davon am See das Maß des touristisch Erträglichen bisweilen bereits überschritten scheint, ist es im Hegau bis heute beschaulich geblieben. Ein Einkehr- und Wanderland, in dem der Mensch seine Seele baumeln lassen kann. Unter Staffelgiebeln hält der Wanderer inne, während er zuvor in lichtgrünen Buchenwäldern tüchtig ausgeschnitten ist. Wo Kirchenglocken den Morgen einläuten, sich über wogenden Ährenfeldern Lärchen in die Lüfte erheben, Mohnblumen blühen, Bussarde über Bergzinnen kreisen, Abendkühle die Rehe zum Äsen an stille Waldränder lockt, läßt es sich unter roten Ziegeldächern wohl sein.

Die Silhouette des Hohentwiels gleicht der einer ruhenden Sphinx. An seinen Hängen wachsen Deutschlands höchstgelegene Reben, und die Gipfelkrone trägt eine der gewaltigsten Festungen des Landes. Dem Berg (erst seit 1969 in badischem Besitz) und seinen schwäbischen Herzögen hat Scheffel mit dem Roman "Ekkehard" ein literarisches Denkmal gesetzt. Mehrfach belagert, konnte sich die Besatzung dank der beherrschenden Lage stets behaupten. Wie ein protestantischer Stachel im katholischen Fleisch der Habsburger wurde die Feste auch im Dreißigjährigen Krieg unter seinem Kommandanten Konrad Widerhold erfolgreich verteidigt. Obgleich kampflos übergeben, wurde die Burg schließlich 1800 auf Befehl Napoleons geschleift. Zu dieser Zeit waren Verteidigungsanlagen dieser Art aber aufgrund der waffentechnischen Entwicklung kaum noch von nennenswerter Bedeutung.

Unweit nördlich des massigen Hohentwiels liegt der Hohenkrähen, einer der schönsten Berggestalten des Hegau. Rund 200 Meter reckt er sich aus der Ebene in die Höhe, und beim Anblick der auf steiler Zinne ruhenden Burgreste fühlt sich der Betrachter sogleich an ein "Krähennest" erinnert. Dennoch dürfte sich die Namensgebung eher vom keltischen "craig" (Felsen) ableiten. Eine unrühmliche Rolle spielte die Burg unter dem Geschlecht der Friedinger, die den Hohenkrähen zeitweilig als Raubritternest benutzten und von ihm aus die ganze Gegend unsicher machten. Einer der hier im 16. Jahrhundert eingesetzten Burgvögte, aufgrund seiner Schelmenhaftigkeit "Poppele vom Hohenkrähen" genannt, lebt in der alemannischen Fasnacht bis in unsere Tage fort.

Dem Berg- und Burgenreigen schließen sich an: Mägdeberg (dessen Burg wurde im 13. Jahrhundert vom Kloster Reichenbach erbaut), Hohenstoffeln, Hohenhewen, Neuhewen und Hewenegg. Zum Teil bis in die Keltenzeit zurückreichend, trug jeder dieser Vulkankegel eine mehr oder weniger ausgeprägte Wehranlage. Obgleich auch schon bei früheren Anlässen (unter anderem "Schwaben-/Schweizerkrieg" von 1499) in Mitleidenschaft gezogen, gehen entscheidende Zerstörungen der Burgen vor allem auf den Dreißigjährigen Krieg zurück. Am höchsten reckt sich der Neuhewen mit seinen 869 m Meereshöhe den ziehenden Wolken entgegen. Seine Burganlage, im 12. Jahrhundert von den Herren von Hewen erbaut, im Volksmund unter "Stettener Schlößchen" bekannt, gelangte 1375 zunächst an die von Reichenbach und mehrte von 1661 an die ohnehin ausgedehnten Ländereien der Fürstenberger.

Außer der Festungsanlage Hohentwiel ging das Ende der Hegauburgen vor allem einher mit dem allgemeinen Niedergang des einst stolzen Ritterstandes. Mittellos geworden, betätigten sich einige der hier ansässigen Burgherren (siehe Hohenkrähen) gar als Raubritter, vor denen kein Reisender oder Händler sicher war. So überfiel 1441 Werner von Schienen zusammen mit einigen Angehörigen des Hegauadels die von der Genfer Messe heimziehenden schwäbischen Kaufleute. Die im Aufstreben begriffenen freien Reichsstädte wiederum traten zu dieser Zeit bereits selbstbewußt als Ordnungshüter auf. Nach dem Überfall zog eine aus 32 Städten gebildete Streitmacht von 6000 Mann gegen Besitzungen des am Überfall beteiligten Adels und zerstörten u.a. die Schrotzburg, brandschatzten die Unterseegemeinden Schienen, Horn, Marbach und Wangen.

Überliefert ist ferner eine andere dem Hegauadel zugesprochene Begebenheit. Wie zuvor bereits andere Städte, versuchte sich auch das am Bodenseeausgang gelegene Stein am Rhein vom Reich zu lösen und schloß dazu 1459 mit Zürich und Schaffhausen ein Schutzbündnis ab. Die Stadt wieder unter die Krone der Habsburger zu zwingen, griffen 1478 Hegauer Ritter und deren Gefolge zu einer List. Auf Schiffen in Fässern versteckt fuhren sie seeabwärts nach Stein, in der Absicht, es handstreichartig einzunehmen. Der Plan wurde jedoch im letzten Moment vereitelt, und heute ist diese Episode im mittelalterlichen Städtchen als Wandbild an einer Hausfassade wiedergegeben.

Die Liste von Begebenheiten ließe sich beliebig fortsetzen, doch wie an den beiden Vorfällen abzulesen, sind wie überall so auch hier Geschichte und Geschichten miteinander eng verwoben, eingesponnen in eine Landschaft, die Kelten, Römern, Franken, Schwaben und Alemannen gleichermaßen Heimat bot. Während sich das Leben in der Ebene bis in die Moderne weiterentwickelte, blieben auf den Vulkankegeln nur die von Efeu umrankten Ruinenreste zurück, über die die Zeit hinweggegangen ist.

Suchten sich die Schulkinder früher im Heimatkundeunterricht einige der Städte im Hegau einzuprägen, half eine Eselsbrücke: "Engen, Tengen, Blumenfeld sind die schönsten Städt der Welt." Bereits dies eine leichte Übertreibung, wurde dem ein von Lokalkolorit geprägter Nachsatz angefügt: "Doch wär Aach nicht mit dabei, wär es nichts mit allen drei." Will heißen, daß es neben Burgen und schönen Städtchen noch manch anderes Schöne zu entdecken gibt, worauf die Bewohner des Hegau mit Recht stolz sind.

Eine Kuriosität am Rande, die beleuchtet, wie es seinerzeit um diese "Städte" bestellt war: König Rudolf von Habsburg verlieh Tengen - zählte damals gerade mal 45 Einwohner! - vor 700 Jahren das Stadtrecht. Die kleinste "Stadt" von dreien, Blumenfeld, war ursprünglich Besitz des Klosters Stein am Rhein. Nach wechselnden Besitzverhältnissen gelangte es Ende des 15. Jahrhunderts an den Deutschen Ritterorden, später zum Großherzogtum Baden.

Nicht zu übersehen ist, daß sich alle drei "Städtchen" vor allem in den vergangenen beiden Jahrzehnten mächtig herausgeputzt haben und um die Bewahrung ihres historischen Bau- und Kulturgutes bemüht sind. Besonders die Renovierung und Sanierung des Altstadtkerns von Engen sucht seinesgleichen. Es ist dies nunmehr ohne Übertreibung eines der besterhaltenen historischen Zeugnisse mittelalterlichen Städtebaus in Süddeutschland. Fast ist man geneigt zu behaupten: "Engen war nie schöner als heute", denn besonders zur Gründerzeit vieler dieser Städte war es mit der Infrastruktur, besonders der seiner sanitären Einrichtungen, eher schlecht bestellt.

Wer sich der magischen Anziehungskraft des nahen Sees zu entziehen vermag, findet neben Engen auch in zahlreichen anderen Hegaugemeinden zentrale Ausgangspunkte ebenso für Wanderungen wie für geologische, botanische oder kunstbezogene Exkursionen. Pflege von Tradition und Brauchtum, vom einfachen Dorffest bis hin zur traditionellen Fronleichnamsprozession, gehören seit jeher zum unverzichtbaren Bestandteil des Jahresablaufs in der Hegaulandschaft.


 




Der Hohenkrähen, nördlich des Hohentwiels gelegen, gilt als einer der schönsten Hegauberge


Das Stadttor von Blumenfeld, der kleinsten der "drei Städte" im Hegau.


Der Hohentwiel mit Bodensee schmückte 1912 den Jahreskalender, der dem Lahrer Hinkenden Boten beigelegt war.


An den Hängen des Hohentwiels, der wie ein Sphinx in der Landschaft ruht, wachsen Deutschlands höchstgelegene Reben.


Einer der Burgvögte des Hohenkrähen, Bild zeigt eine Ansicht aus dem 16. Jh., wurde im Volksmund "Poppele von Hohenkrähen" genannt und lebt bis heute in der alemannischen Fasnacht fort.


"Des Herrgotts Kegelspiel" hat der Heimatdichter Ludwig Finckh den Hegau nahe des Bodensees bezeichnet.