Siebenmal am Tag unterbrechen die Mönche ihre Tätigkeit, gleich ob ihre Arbeit auf dem Feld oder in der Bibliothek, um sich zum gemeinsamen Gebet zu versammeln. An Sonntagen, wenn der gregorianische Gesang der Ordensbrüder unter der Kuppel der romanischen Klosterkirche verstummt, besteht bisweilen die Gelegenheit, mit dem einen oder anderen von ihnen ins Gespräch zu kommen.
Dann auch können im Querschiff und in den Apsiden die restaurierten Bodenmosaiken aus dem 12. Jahrhundert mit Darstellungen von Monstern, Zentauren und Rittern, einer von Chaldäern und Sassaniden (Perser) gleichermaßen beeinflußten Ornamentik, bewundert werden. Ganagobie, die Klosteranlage auf einem Felsplateau hoch über dem Tal der Durance, ist seit 1960 im Aufbau begriffen, und vom Kloster Hautecombe in Savoyen ausgehend, wird Ganagobie seit 1992 wieder von den Benediktinermönchen der Heiligen Maria-Magdalena bewohnt. Noch ist die Glaubensgemeinschaft klein, und es ist nicht ungewöhnlich, daß die Zahl der Gottesdienstbesucher die der Mönche übersteigt. Die Wiedererstehung an historischer Stätte, bereits im 9. Jh. n. Chr. bestand an dieser Stelle eine Abtei (wahrscheinlich von den Sarazenen zerstört), hat aber geradezu symbolhaften Charakter für diese Landschaft. Es scheint, als sei sie in den vergangenen Jahrzehnten aus ihrer Lähmung erwacht und suche nun an längst vergangene, gleichermaßen von keltischen, römischen, galloromanischen Einflüssen geprägte Geschichte anzuknüpfen, sich vor allem seiner tiefen provençalischen Wurzeln zu besinnen.
Folgt man von Ganagobie der schmalen Fahrstraße (D 30) nach Süden, fährt man wenig später vorbei an der römischen Brücke "Le Pont Romain de Ganagobie". Neben der weit bedeutenderen bei Apt (Pont Julien) ist sie eines von vielen historischen Zeugnissen entlang der "Via Domitia". Als technisches Meisterwerk im 2. Jh. n. Chr. von den Römern erbaut, führte diese Fernstraße einst von Nîmes über Sisteron ins Aostatal, dem Ausgangsort für den Weg nach Norden über den Großen Sankt Bernhard und weiter in Richtung Genfer See, Tavannes, Augst, Mainz und Trier.
Heute verläuft die Hauptquerverbindung vom Tal der Durance hinüber zur Rhône südlich von Sisteron über Forcalquier und Apt nach Cavaillon oder Avignon (N 100). Den östlichen Zugang markiert dabei der kleine, auf einem Felssporn erbaute Ort Lurs. Auch er ein Beispiel für die Renaissance, das Wiedererwachen der Provence abseits bekannter Kunst- und Reisewege. Wie das Kloster schien diese einst bedeutende Residenz der Bischöfe von Sisteron noch vor wenigen Jahren dem völligen Verfall preisgegeben. Von den Einwohnern verlassen, wurde das Dorf zunächst von einigen Künstlern entdeckt, inzwischen restauriert und nun vor allem von deren Szene bewohnt. Wohlhabende Städter taten ein übriges, den noch verbliebenen Rest der alten Steinhäuser als Feriendomizile auszubauen. Alljährlich wird in Lurs übrigens ein internationales Graphiker-Treffen abgehalten. Mittlerweile finden nicht nur Fachleute dieser Kunstrichtung, sondern mehr und mehr auch Touristen den Weg zur Bergsiedlung.
Die Grafschaft Forcalquier (Comté de Forcalquier) war im 12. Jahrhundert einer der drei mächtigen Herrschafts-
bereiche der Provence, ehe nachfolgend das Haus Anjou seinen Anspruch auf die ganze Region durchsetzte. Das Städtchen Forcalquier (provençalisch: Forcauquie) verlor damit an Bedeutung, und nur noch an wenigen Bauwerken ist abzulesen, daß es schon bessere Zeiten gesehen hat. Die Gebäude in den engen Gassen der Altstadt, das Palais, einstmals von Franziskanermönchen bewohnt, nebenan der gotische Brunnen aus dem 15. Jahrhundert, alles befindet sich derzeitig in einem eher bedauernswerten Zustand. Auch vom einstigen Grafen-
schloß auf dem Festungsberg ist nichts mehr übrig geblieben. Seinen Platz nimmt heute die Wallfahrtskapelle Notre-Dame-de-Provence ein. Vom Felsplateau aus bietet sich jedoch eine der schönsten Aussichten auf die Berge des Lure im Norden sowie den nahegelegenen Lubéron.
Was geblieben ist und ohne das sich viele die Provence kaum vorstellen können, ist das Flair seiner unvergleichbaren Märkte, so auch hier in Forcalquier rund um den Place du Bourguet. Das verwirrende Duftgemisch von Gewürzen, Naturseife, Honig, kandierten Früchten, Käse, Oliven, Knoblauch und Salami lockt, neben Obst, Wein und Gemüse, Schmuck, Kleider, Keramik, aus Oliven-holz gedrechselten Kunst- und Gebrauchsgegenständen, gleichermaßen Einheimische wie Touristen an. Der wöchentliche Markttag ist jedoch nicht nur Forum für Käufer, sondern wie die Restaurants, Bistros, Cafés nebenan Ort der Kommunikation.
In der Bergregion der Provence, den "Alpes de Haute Provence" haben sich elf Orte und Städte unter dem Werbeslogan "Orte und Städte mit Charakter" (Villages et Cites de Charactère) zusammengefunden. Im westlichen Teil um Forcalquier sind es neben dem bereits erwähnten Lurs die Orte Mane, Dauphin und Simiane-la-Rotonde, das übrigens mit einem bemerkenswerten Bauwerk aufwartet. Während sich in der Ebene Lavendelfelder und Olivenhaine ausbreiten, sich darüber die Häuser des Ortes
ringförmig um einen Bergkegel schmiegen, krönt dessen Kuppe eines der eigenwilligsten historischen Bauwerke der östlichen Provence: der Donjon von Simiane (12. Jh.). Über seine Zweck-
bestimmung waren sich selbst Fachleute lange uneins, manche hielten ihn gar für einen Kirchenbau. Erst nach der Restauration der vergangenen Jahre trat die Zuordnung der einzelnen Teile des konisch zugespitzten Rundbaus deutlicher zutage. So dürfte das Erdgeschoß der Rotunde den Herren von Simiane lediglich als Vorratsraum gedient haben. Die darüberliegende, mit Nischen, Säulenstegen und Kreuzrippengewölbe ebenso aufgelockerte wie geschmückte Halle hingegen war sowohl Wohn- wie repräsentativen Zwecken vorbehalten. Damit vor allem Profanbau, verliehen die dicken Mauern dem Bauwerk durchaus auch einen wehrhaften Charakter.
Zwar nicht so spektakulär wie um Arles oder Avignon, dafür weniger touristisch, sind es hier im östlichen Teil der Provence eher bescheidenere, doch nicht minder bemerkenswerte Zeugnisse, die es zu entdecken gilt.
In den Bergdörfern Viens, Vitrolles oder Montfuron sind es z.B. Teile alter Festungsmauern, enge, den Mistral abweisende Gassen. An anderer Stelle überraschen liebenswerte Details an Gebäuden oder an einem Kirchenportal. Unweit von Forcalquier liegt übrigens das als schönstes klassizistisches Schlößchen der Provence gepriesene Château de Sauvan.
Daß die Luft nirgendwo reiner, der Nachthimmel Südfrankreichs an keiner Stelle klarer ist als hier, hat nahe St. Michel zum Bau eines Observatoriums (Observatoire de Haute Provence) geführt. Wer es weniger mit den Stern-
guckern, statt dessen mit irdischen Naturschönheiten hält, findet im nahegelegenen Naturreservat, dem Reserve naturelle geologique du Luberon, ein reiches Betätigungsfeld. Botanische wie geologische Exkursionen, aber auch Malen, Reiten, Radfahren oder Wandern in dem im Sommer meist ausgetrockneten Canyon von Oppedette bieten sich an. Was bei keiner Unternehmung fehlen sollte: der obligatorische Picknick-Korb mit einigen provençalischen Köstlichkeiten. Gehört doch die Lebensweise ebenso zu dieser Landschaft wie dessen vielgerühmtes Licht, die Düfte und Farben.
Nicht weit von Apt entfernt liegt der kleine Ort Rustrel, von dem die nahegelegenen Ockerfelsen ihren Namen haben. Obwohl Kenner sie als die schöneren ansehen, haben die von Roussillon einen höheren Bekanntheitsgrad. Der Anteil des Eisenoxidminerals Hämatit bestimmt die Intensität der Ockertöne. Die Farbpalette reicht von hellem Weißgelb über Rostrot bis hin zu einem an Auberginen grenzenden Braunton. Bei einem Rundgang durch die stillgelegte Grubenanlage ist man immer wieder erstaunt, welch verschiedenartige Farbabstufungen die einzelnen Formationen auf engstem Raum aufweisen. Obgleich man von Ockerfelsen spricht, handelt es sich dabei aber nur um ein recht standfestes Tonerdegemisch. Noch bis in jüngere Zeit hinein wurde es abgebaut, zerkleinert und in Klärbecken gereinigt. Die verbliebenen Farbpigmente wurden anschließend einem Brennverfahren unterzogen. Die so hergestellten Naturfarben waren früher sehr begehrt, wurden dann aber durch die billigere synthetische Farbherstellung verdrängt. Nur einige wenige, traditionsbewußte Maler benutzen sie noch immer. Heute können die offengelassenen Ockerbrüche gegen Gebühr besichtigt werden.
Zu allen Zeiten mußte der Mensch gute Gründe haben, um angesichts der Einsamkeit und Abgeschiedenheit dieser Landschaft hier sein Dasein zu fristen. Wie um den Menschen Ruhe und Zuflucht zu gewähren, sie gleicher-
maßen vor den Verlockungen des nahen Meeres zu bewahren, versperren die waldreichen Lubéronberge auf rund 50 Kilometern wie eine Barriere den Weg nach Süden. Petrus Waldus, Kaufmann und Sektengründer aus Lyon, schien dieser Ort in besonderem Maße geeignet, um sich im 12. Jahrhundert fernab des Weltgeschehens und päpstlichen Ein-
flusses mit seinen Glaubensgenossen hier niederzulassen. Sie errichteten Dörfer und bebauten das Land, was auch den Wohlstand der adeligen Familien mehrte, deren Ländereien sie damit kultivierten.
Den Anfang französischer Eroberung im Süden des Landes und die sich über Jahrhunderte hinziehenden Religions-
kriege markiert an der Schwelle ins 13. Jahrhundert der Albigenserkreuzzug: der Kampf gegen die strenggläubigen, jedoch von der römisch-katholischen Glaubenslehre abweichenden Katharer (Ketzer). Der Languedoc, aber auch Städte im Rhônetal wie Orange, Arles und Avignon waren davon betroffen. An den Waldensern im Lubéron war der bittere Kelch dieser Strafaktion zunächst vorübergegangen. Als sich Franz I. jedoch selbst dem Verdacht der Ketzerei ausgesetzt sah, fand er im Vorgehen gegen die Waldenser ein geeignetes Mittel, sich dem drohenden Bannstrahl der Inquisition zu entziehen. Er billigte eine vom Parlament in Aix verfügte Strafaktion gegen die Abweichler. Unter Führung des Baron Jean Meynier dOppède kam es daraufhin 1545 zum grausamen Pogrom an den Waldensern. Etwa 4000 von ihnen fanden dabei den Tod, andere landeten auf den Galeeren. Ihre Bergdörfer (unter anderem Cadenet, Lourmarin, Cucuron, Ménerbes und Mérindol) wurden zerstört. Nur wenige Überlebende fanden Zuflucht in entlegenen Alpentälern des Piemont.
Von diesem Unrecht hat sich der Lubéron nie ganz erholt. In der Folgezeit schien diese Landschaft wie durch einen Fluch in Armut und Apathie versunken, aus dem es Jahrhunderte kein Erwachen gab. Erst zögerlich kehrte das Leben in den nahezu entvölkerten Lubéron zurück. Vorzugsweise wohlhabende Städter, vor allem aber Maler, Dichter und Schriftsteller wie Albert Camus, Henri Bosco oder Peter Mayle errichteten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Wohnhäuser und Ateliers in den verlassenen Bergdörfern in und am Rande des waldreichen Mittelgebirges.
Ein Schlüssel zu Frankreich bildet das Essen, der andere Weg zu den Franzosen führt über ihre Sprache. Ersteres
kann man sich in der Vielzahl gastronomischer Einrichtungen angedeihen
lassen, letzteres ergibt sich im Alltag oder auf Reisen. Beides vereint bietet sich in Ferienanlagen, die besonders in Frankreich übers ganze Land verteilt sind. Eine von ihnen ist "Les Bories", benannt nach den aus Steinen aufgeschichteten Rundhäusern dieser Gegend (gallischen oder ligurischen Ursprungs). Zehn Kilometer östlich von Forcalquier (Zufahrt über die N 100) gelegen, ist besonders sie für die Erschließung der östlichen Provence bestens geeignet. Hausherr Jean ist mit Liebe und Hingabe um das Wohl seiner Gäste besorgt. Als Besitzer, Motor und Manager des Ganzen stets bemüht, seine Gäste, woher sie auch kommen mögen, auf französische (pardon: provencalische) Lebensart einzustimmen. Derweil sein treuer Mitstreiter "BeBe" (wer immer ihm den ungewöhnlichen Spitznamen verliehen hat), nebst seiner temperamentvollen Angetrauten Héléne, für das leibliche Wohl verantwortlich zeichnen. Wann immer sie in der Küche verschwinden, kommt das Ergebnis ihres Bemühens allemal einem Angriff auf die schlanke Linie gleich.
Zwei warme Mahlzeiten mit fünf bis sieben Gängen nehmen dann auch täglich mehrere Stunden in Anspruch.
Positiver Nebeneffekt: Die sich dabei
bildenden Tafelrunden haben für Nichtfranzosen ganz nebenbei die Wirkung eines Sprachkurses. Nicht eben selten,
daß hier schon nach wenigen Wochen deutliche Fortschritte zu verzeichnen sind.
Stätten wie diese sind jedoch während der Hauptferienzeit vor allem von französischen Familien mit Kindern belegt. Sie lieben Gemeinschaft und Animation und das sowohl auf den diversen Sportanlagen, wie auch bei abendlicher Unterhaltung. Daher ein guter Rat: wer das weniger Umtriebige bevorzugt und es sich zeitlich einrichten kann, kommt besser zur Vor- und Nachsaison. Ohnehin angeraten, da zur Sommerzeit eine gewöhnlich erbarmungslos vom Himmel stechende Sonne alle Exkursionsgelüste zum Erliegen bringt.